Kritik zu The Party
Von der Krise des Gesundheitswesens über die Bankenkrise bis zum Beziehungsscheitern: Sally Potter dreht in strengem Schwarz-Weiß und mit schillernder Besetzung eine schnell getaktete Gesellschaftskomödie, in der sich binnen 71 Minuten Laufzeit ganze Welten in ihr Gegenteil kehren
Eine schwere Holztür mit Löwenknauf öffnet sich, zum Vorschein kommt eine Frau in den mittleren Jahren, distinguiert, im Moment aber reichlich derangiert, mit zerzaustem Haar und aufgewühlter Miene: Der Blick des unsichtbaren Besuchers deckt sich mit dem des Zuschauers im Kino und fällt in den Lauf einer Pistole im Anschlag. Wie es zu diesem Eskalationsmoment gekommen ist, wird der Film in den folgenden 71 Minuten aufrollen.
Wenn das Kino zu Tisch lädt, werden meist dunkle Geheimnisse serviert, das gilt nun auch für Sally Potters in strengem Schwarz-Weiß präsentierte »Party«. Gastgeberin ist die britische Oppositionspolitikerin Janet (Kristin Scott Thomas), die gerade die Früchte jahrzehntelanger Bemühungen geerntet hat, einen Posten als Gesundheitsministerin im Schattenkabinett. Zur Feier des Ereignisses hat sie einige engere Freunde in ihr viktorianisches Haus in London eingeladen. Während die Karrierefrau in der Küche werkelt, trudeln die Gäste ein, unablässig klingelt das Telefon, mit beruflichen, familiären und freundschaftlichen Gratulationen.
Wie so oft bei der britischen Regisseurin geht es auch hier um ein Geflecht menschlicher Beziehungen, denn jeder der Gäste hadert mit seiner Lebenssituation. Nach und nach offenbaren sich alle festen Beziehungen als marode, von Zweifeln und Affären ausgehöhlt. Es fängt damit an, dass der Gastgeber verkündet, dass er nur noch wenig Zeit zu leben habe, woraufhin seine Frau augenblicklich per SMS ihre Affäre beendet und auch ihren Ministerposten infrage stellt. Doch dann legt der von Timothy Spall brüchig, dahindämmernd gespielte Bill nach, er habe vor, den Rest der Zeit, die ihm noch bleibe, mit einer anderen Frau zu verbringen. Und so geht es im Achterbahnfahrttempo immer weiter, zwischen Flur, Küche, Wohnzimmer, Badezimmer, Vorgarten und Haustür wechseln mit jedem Schnitt die Perspektiven, unablässig ergeben sich neue Offenbarungen, eine junge Schwangere (Emily Mortimer) eröffnet ihrer lesbischen Lebensgefährtin (Cherry Jones), dass sie nach einer Hormonbehandlung Drillinge erwartet. Ein junger Investmentbanker (Cillian Murphy) trifft sichtlich aufgewühlt ohne seine Ehefrau ein und stürmt erst mal ins Bad, um sich mit einer Dosis Koks und kaltem Wasser einzupegeln. Und Janets beste Freundin April (Patricia Clarkson) zerlegt die ganze Situation mit ihren unverhohlen zynischen Kommentaren in ihre Bestandteile und lässt insbesondere an ihrem deutschen Ehemann Gottfried (Bruno Ganz), einem friedensselig dauerlächelnden Esoteriker, kein gutes Haar, nur um am Ende resigniert zu konstatieren, dass sich ihre Beziehung im Licht der zurückliegenden Ereignisse erstaunlich gesund ausnimmt.
Sally Potter beschreibt ihren Film selbst als »von einer Tragödie umhüllte Komödie«. Im Umfeld der Brexit-Wahl wollte die britische Regisseurin die Lage ihrer Nation am Anfang des 21. Jahrhunderts einfangen und drehte schnell und spontan in nur zwei Wochen in einem Londoner Studio. In dem auf einen einzigen Schauplatz konzentrierten Kammerspiel kollidieren kontrollierter beruflicher Ehrgeiz und unkontrollierte explosive Gefühle, banale Äußerlichkeiten, wie die Kritik an einer unmöglichen Frisur, und existenzielle Abgründe.
Oszillierend zwischen Nabelschau und Manöverkritik entfacht Potter ein Feuerwerk schillernder Dialoge, die sich die durchweg grandiosen Schauspieler genüsslich auf der Zunge zergehen lassen, allen voran die hinreißend bösartige Patricia Clarkson. In rasendem Tempo werden die virulenten Diskurse am Anfang des 21. Jahrhunderts durchdekliniert, von der Krise des Gesundheitswesens, der Demokratie und der Banken über den Stand des Feminismus bis hin zur Erosion verlässlicher Beziehungen im Spiegel der sozialen Medien. Wie in einem Durchlauferhitzer werden sonst ausgesprochen vernunftgesteuerte Intellektuelle zum Äußersten leidenschaftlicher Handgreiflichkeiten getrieben.
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