Kritik zu Pacifiction
Benoît Magimel verkörpert einen französischen Kolonialbeamten auf Tahiti und Regisseur Albert Serra macht daraus ein grandioses Spiel mit den Konventionen des Politthrillers
Das Amt, das der französische Beamte Monsieur De Roller innehat, wirkt beinahe ebenso aus der Zeit gefallen wie der Titel, den er trägt. De Roller, ein Mann um die 50, der sich augenscheinlich gehen lassen hat und zum selbstverliebten Schwadronieren neigt, ist der »Hochkommissar der französischen Republik« auf Tahiti, ein Relikt einer weitgehend, aber eben noch nicht vollständig untergegangenen Kolonialzeit. Tahiti und die anderen Inseln Französisch-Polynesiens werden weiterhin von Paris aus regiert und unterstehen dem französischen Staat. Ein Anachronismus, dessen sich der von Benoît Magimel gespielte De Roller durchaus bewusst ist. In vielen seiner Monologe schwingt Verachtung für die Pariser Politik mit. Aber das hält ihn keineswegs davon ab, sich selbst als gütigen Kolonialherren im zerknitterten weißen Zweireiher zu inszenieren, der versucht, seine Macht durch zwielichtige Geschäfte und kaum verhohlene Drohungen aufrechtzuerhalten.
Aber De Rollers Macht ist längst zu einer Chimäre geworden. Er klammert sich mit all seiner Kraft an einer Illusion fest, während sich der Boden unter seinen Füßen immer weiter auflöst. So verliert er, der zudem bald abberufen werden soll, sich mehr und mehr in einem Zwischenreich, in dem es keinerlei Sicherheit und auch keine eindeutige Wahrheit gibt. Einmal heißt es, De Roller sei in einer Abwärtsspirale gefangen, die ihn tiefer und tiefer in Paranoia und Größenwahn versinken ließe. Einer Spirale ins Ungewisse, einem Abstieg ins Apokalyptische, gleicht auch Albert Serras Film »Pacifiction«. Von fern erinnert er an die Politthriller der 1950er und 60er Jahre. De Roller ist »unser Mann in Polynesien«.
Aber das Licht der Sonne hat hier eine ganz andere Macht als in den Filmen des Kalten Krieges. Es verleiht allen Farben eine fast schon übernatürliche Strahlkraft. Es scheint auch die Zeit zu verlangsamen. Benoît Magimel ist zwar ständig in Bewegung, mit einem Auto, einer protzigen weißen Mercedes-Limousine, mit einem Boot oder auch mit einem kleinen Flugzeug. Aber aus diesem fortwährenden In-Bewegung-Sein erwächst kein Fortkommen. Die Spirale in den Abgrund kennt keinen Ausweg. Es geht immer weiter nach unten, und De Roller merkt es nicht einmal.
Magimel wirkt wie ein Schlafwandler, wie ein Mann, der in seiner ganz eigenen Realität gefangen ist. Aus dem Riss, der De Roller von den anderen trennt, quellen die meist betörend schönen, aber auch beunruhigend rätselhaften Bilder des Films hervor. Albert Serra, der zu den eigensinnigsten Filmemachern unserer Zeit gehört, inszeniert De Rollers Niedergang als von der tropischen Sonne überbelichteten Albtraum, der keiner inneren Logik folgt. Immer wieder deuten sich Intrigen und Gefahren, politische Ränke und kolonialistische Fantasien an.
So macht das Gerücht auf den Inseln die Runde, dass die Franzosen ihre seit den 1990er Jahren eingestellten Atombomben-Tests wieder aufnehmen wollen. Eben jene Tests, die in der Vergangenheit Krankheit, Leid und Tod über die indigene Bevölkerung Tahitis gebracht haben. Ein französischer Admiral, dessen U-Boot an einem geheimen Ort vor der Küste der Insel liegt, heizt die Stimmung noch mit kryptischen Reden an. Einige Aktivisten kündigen Proteste an, während ein Portugiese und ein Amerikaner undurchsichtigen Plänen nachgehen. Aber all diese einzelnen Geschichten und Episoden fügen sich nie zusammen. Der Thriller, der sich in ihnen andeutet, bleibt Andeutung und erhält dadurch eine um so größere Wirkung. In all den Leerstellen, die Serra bewusst lässt, lauert ein namenloses Unbehagen. Die albtraumhafte Atmosphäre, die zum Ende immer bedrückender wird, verstärkt er durch die Montage der Bilder, die oft nicht ganz zusammenzupassen scheinen. Räume und zeitliche Abläufe geraten durcheinander. Serra sabotiert so die Wahrnehmung des Publikums und verunsichert es, bis das Schwarz der tropischen Nächte so undurchdringlich wie dieser Film gewordene Albtraum wird.
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