Kritik zu Only the River Flows
In stimmungsvollen Bildern und mit Retroflair erzählt der chinesische Neo-Noir von einem schwermütigen Inspektor, der bei der Suche nach einem Mörder an seine Grenzen gerät
Es regnet viel in diesem Film, und fast immer wird geraucht. Und nicht nur in diesen Punkten erinnert »Only the River Flows«, der dritte Spielfilm von Wei Shujun, an den französischen Film noir der 70er und 80er: Auch die tristen Vorstadtszenerien in stylish-düsteren Bildern, die melancholischen Helden und die seltsamen Verbrechen und auch die bedächtige Erzählweise, die manchmal von ziemlich absurdem Humor aufgelockert wird, scheint vertraut. Die Liebe zu dieser Art Kino spricht aus jeder einzelnen Szene von Shujuns Film, der auf analogem Material gedreht wurde und nicht nur stilistisch »retro« ist: Er spielt auch in der Vergangenheit, in der chinesischen Provinz Mitte der 1990er Jahre.
Die Leiche einer älteren Dame wird am Ufer eines Flusses gefunden, und Ma Zhe, Leiter der Kriminalpolizei, soll den Fall so schnell wie möglich aufklären – Befehl von oben. Die ersten Befragungen ergeben nicht viele Hinweise. Eine Musikkassette, die außer Musik auch einen gesprochenen Liebesbrief enthält, bringt die Ermittler auf die Spur einer geheimen Affäre. Dann liegt eine weitere Leiche am Fluss, und kurz darauf scheint alles ganz einfach: Ein verdächtiger »Irrer« serviert sich der Polizei geradezu auf dem Präsentierteller als der Täter. Alle sind froh, dass sich der Fall in Wohlgefallen aufgelöst hat – nur Inspektor Ma zweifelt …
Viele möglicherweise nebensächliche, vielleicht aber doch wichtige Hinweise streut der Film aus, und eine ganze Reihe skurriler Figuren begegnet dem Inspektor bei seiner rastlosen Suche nach der Wahrheit. Yilong Zhu spielt diesen Ma, der nicht nur beruflich immer mehr unter Druck steht, als brütenden, wortkargen Skeptiker, der sich im Labyrinth widersprüchlicher Indizien rettungslos zu verirren droht – ein würdiger Noir-Protagonist. Auch für den Betrachter bleibt manches rätselhaft bis nebulös. Die kriminalistischen Fragen der Geschichte treten irgendwann in den Hintergrund, doch ebenso werden gesellschaftskritische Aspekte, obwohl sie hin und wieder anklingen, nicht weiter herausgearbeitet. Vielmehr scheint es in »Only the River Flows« auf etwas vertrackte Weise um genau jene Vertracktheit zu gehen, die dem Lauf der Welt bisweilen zu eigen scheint. Wie in jenem Camus-Zitat, das Shujun seinem Film vorangestellt hat: »Da das Schicksal unergründlich ist, spiele ich selbst Schicksal. Ich trage das alberne, unlesbare Gesicht Gottes.«
Der Film taucht aber zum Glück nicht in Obskurantismus ab. Mit seiner feinsinnigen Ästhetik fasziniert er auch jenseits von Plotfragen. So verwendet er neben Beethovens »Mondscheinsonate« auch einige Stücke von Howard Shores kühlem, geheimnisvollem Score zu Cronenbergs »Crash« und verleiht damit seinen eigenen Bildern eine mysteriöse Poesie. Besonders eine längere Traumszene ist ein kleines Meisterwerk wilden visuellen Assoziierens. Nicht zu vergessen auch der Humor, der über lange Strecken unterschwellig bleibt, punktuell aber mit Mut zur Albernheit ausbricht. Etwa wenn Ma eine Holztür eintritt, aber mit dem Fuß drin stecken bleibt und eine ganze Weile braucht, bis er ihn wieder freibekommt – Action mit Überraschungseffekt.
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