Kritik zu The Old Oak
Ken Loach widmet sich dem Thema »Flüchtlingskrise« und erzählt von alten und neuen Weisen der Solidarisierung mit Hilfsbedürftigen, aber auch davon, wie rassistische Vorurteile alte Freunde auseinanderbringen
Es trifft sie unvorbereitet, die Einwohner eines Ortes im Nordosten Englands, als im Jahr 2016 ein Bus mit Geflüchteten aus Syrien bei ihnen ankommt. Für einige von ihnen hat Solidarität Tradition, sie wissen noch, was das bedeutet, auch wenn der große Bergarbeiterstreik 32 Jahre zurückliegt, andere dagegen lassen ihren Ressentiments freien Lauf. Die sind in der ersten Sequenz aus dem Off zu hören, womit dieser Film den Konflikt sofort auf den Punkt bringt. Dieser könnte sich genauso gut in Deutschland abspielen, das gibt dem neuen Film von Ken Loach eine zusätzliche Dringlichkeit. Was nicht heißt, dass er darüber die genaue Beschreibung der konkreten Situation vernachlässigt.
Man kann die Menschen in dieser Region verstehen, die sich abgehängt fühlen, seit hier die Kohlegruben dichtgemacht wurden; gerade findet ein großer Ausverkauf statt, Charlie erfährt, dass mehrere Häuser in seiner Straße soeben bei einer Onlineauktion nach Zypern verkauft wurden – für ein Fünftel dessen, was er selbst vor Jahren für sein Haus bezahlt hat. So sitzt er denn mit anderen Männern im »The Old Oak«, dem einzigen Pub, der hier noch verblieben ist.
Dessen Besitzer T. J. hat das Hinterzimmer mit Fotos geschmückt, sie erinnern an die gelebte Solidarität von einst. Diese Erinnerung wird wieder lebendig, als T. J. auf Yara trifft, eine junge Frau Anfang zwanzig mit einem großen Interesse für Fotografie. In den zwei Jahren in einem Flüchtlingslager hat sie Englisch gelernt, so fällt ihr die Verständigung leichter als den meisten anderen Neuankömmlingen.
Einige der Einwohner erweisen sich als lernfähig, kommen weg von ihren Vorurteilen durch die Begegnung mit den Fremden, die in einem gemeinsamen Essen im Hinterzimmer des Pubs mündet. Andere aber verbreiten hasserfüllte, rassistische Äußerungen, zumal in der Anonymität des Internets. Am Schluss steht zwar ein bewegendes Bekenntnis zu den neuen Mitbürgern, aber wie lange wird das halten? Was die Zukunftsperspektive anbelangt, fällt der Film verhalten aus, seine Protagonisten schwanken zwischen resignierender Selbstaufgabe und gelebter Solidarität, komische Momente sind rar gesät.
Mit Ken Loachs vorangegangenen zwei Filmen bildet »The Old Oak« eine Trilogie des englischen Nordostens. Wo »Ich, Daniel Blake« einen älteren Arbeiter und seinen Kampf gegen die Mühlen der Bürokratie in den Mittelpunkt stellte und »Sorry We Missed You« die Familie des Protagonisten, der mit den Tücken der Scheinselbstständigkeit zu kämpfen hat, miteinbezog, da weitet sich das Bild in »The Old Oak« auf eine ganze Community. Durch die geht ein Riss, die lebenslange Freundschaft zwischen T. J. und Charlie ist abgekühlt und wird am Ende – als der Hass sich nicht mehr nur auf Worte beschränkt – durch eine Enthüllung vollends infrage gestellt.
»The Old Oak« könnte der letzte Spielfilm von Ken Loach sein, der in diesem Jahr seinen 87. Geburtstag feierte und beim Festival von Locarno (wo er den Publikumspreis erhielt), bekräftigte, dass er solch eine Kraftanstrengung nicht noch einmal schaffen würde.
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