Kritik zu Nur Gott kann mich richten
Mit »Chiko« legte Özgür Yıldırım 2008 ein fulminantes Regiedebüt vor, das dem deutschen Genrekino einen regelrechten Energiestoß versetzte. In seinem neuen Film perfektioniert er die Mischung aus Tragödie und cineastischer Gangsterballade noch – mit einem großartigen Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle
Es ist der berühmte einfache Plan, mit dem sich das große Geld ganz leicht verdienen lässt, selbstverständlich völlig komplikationslos und total ungefährlich. An diesem Punkt müssten bereits alle Alarmglocken läuten, zumal das Muster schon in der Eingangsszene durchgespielt wurde, fünf Jahre zuvor: Drei Männer lauern im Dunkel der Nacht in einem Auto, eine junge Frau übergibt eine Lieferung, danach stürmen zwei der Männer das Büro, fordern mit dicken Knarren im Anschlag die Herausgabe der Tasche, die nirgends zu sehen ist, nur leider versteht der russische Gangster die rüden Forderungen gar nicht. Dann kommt auch noch die junge Frau zurück, am Ende gibt es jede Menge Verletzte und einen Haufen Polizisten mit gezückten Pistolen. Da ist im Grunde schon klar, dass das nicht die Sorte Film ist, in der irgendjemand aus schlechten Erfahrungen lernt oder jemals etwas reibungslos läuft, denn dazu gibt es viel zu viele Unsicherheiten und Schwachstellen. Stattdessen waltet eine unerbittliche Mechanik des Scheiterns.
Vor knapp zehn Jahren ließ Özgür Yıldırım mit »Chiko« eine kleine Filmbombe platzen. Auch damals ging es um Freundschaft, Liebe und Verrat, tief verwurzelt im Hamburger Gangstermilieu, in dem Problemkiez, der auch der Nährboden der ersten Filme von Fatih Akin war, der dieses furiose Debüt damals mit seiner relativ frisch gegründeten Produktionsfirma Corazon International auch produzierte. »Chiko« war ungestüm wildes Genrekino, wie es in Deutschland damals noch eine Seltenheit war, inzwischen aber zum Beispiel mit »4 Blocks« auch in Serie ging. Kida Khodr Ramadan, der in »4 Blocks« den libanesischen Gangsterpaten Ali Hamady spielte, bringt seine spezielle Mischung aus väterlicher Fürsorge und aggressiver Gangster-Attitüde hier nun in die Rolle als Shisha-Barbesitzer Latif ein, wobei »Nur Gott kann mich richten« in Frankfurt spielt.
Geschickt und weitläufig legt Özgür Yıldırım in seinem neuen Film die Netze aus, um sie dann immer enger zusammenzuziehen. Da ist die junge Streifenpolizistin (Birgit Minichmayr), die zugleich alleinerziehende Mutter eines herzkranken Mädchens ist. Da ist Rafael (Edin Hasanovic), der seiner Geliebten einen Verlobungsring gekauft hat, für den er seinem misstrauischen Chef und Schwiegervater Geld aus dem Safe geklaut hat. Da ist sein älterer Bruder Ricky (Moritz Bleibtreu), der gerade aus dem Knast entlassen wurde, irgendwo im Süden Europas eine Bar aufmachen will und darum besagten Kumpel Latif anhaut, der ihm eigentlich etwas schuldet, nachdem er ihn damals nicht verpfiffen hat. Statt Geld hat der aber nur einen dieser einfachen, todsicheren Pläne zu bieten, bei denen mal eben 2,5 Kilo Heroin herausspringen sollen. Es gibt viele Gründe Geld zu brauchen, und wenig Möglichkeiten, es legal zu verdienen. Und viel zu viele Sandkörner im Getriebe, als dass es jemals reibungslos funktionieren könnte. Da reicht es manchmal schon, dass ein Rücklicht am Fluchtauto defekt ist, dass ein übernervöser Typ in der Verkehrskontrolle die Nerven verliert oder eine verzweifelte Polizistin unvermittelt auf der Straße eine Tasche sieht, deren Inhalt das Leben ihres Kindes retten könnte. Das könnte alles ziemlich hanebüchen konstruiert wirken, wenn es sich nicht so unmittelbar und zwingend ergeben würde, wenn die Schauplätze nicht so authentisch wirken würden, all die schummrigen Billardkneipen, Shisha-Bars und Striplokale, die trostlosen Baubüros und Hinterhöfe und verlotterten Sozialwohnungen, in denen Kinder in Dauerschleife vor der Glotze sitzen. Und wenn die bis in die kleinsten Nebenrollen großartig besetzten Schauspieler nicht allesamt so rau und wahrhaftig agieren würden, eben keine Pappkameraden aus der Klischeebibliothek, sondern echte Menschen mit komplexen Schicksalen, um die man bangt, obwohl sie unablässig die falschen Entscheidungen treffen. »Ich bau keinen Scheiß mehr, wirklich nicht!« Man möchte es ihnen glauben – und weiß zugleich, dass sich das Unheil unerbittlich zusammenbraut.
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