Kritik zu Nokan – Die Kunst des Ausklangs

© Kool Filmditribution

2008
Original-Titel: 
Okuribito
Filmstart in Deutschland: 
26.11.2006
L: 
130 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Wenig überraschend wurde bei den Oscars im letzten Februar dieser japanische Film von stolzer Konventionalität dem erzählerischen Eigensinn von »Die Klasse« und »Waltz with Bashir« vorgezogen

Bewertung: 3
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Außer Zorn und Schmerz hat sein Vater Daigo zwei Dinge vermacht, als er vor 30 Jahren die Familie wegen einer anderen Frau verließ: ein Cello und einen Stein. Seither ist er tatsächlich Musiker geworden. Seine Karriere und Begabung sind jedoch weit hinter seinen Träumen zurückgeblieben; nach der Auflösung seines Orchesters ist er arbeitslos. Mit seiner Frau Miko ist er nun von Tokio in das Haus seiner verstorbenen Mutter in der Präfektur Yamagata umgezogen. In seiner Heimat findet er das Cello aus seiner Kindheit wieder. Und eines Tages erzählt er Miko, was es mit dem Stein auf sich hat.

Einer alten Legende zufolge schickten sich die Menschen Steinbriefe, bevor sie des Schreibens mächtig waren. Am Gewicht, an Größe und Form, und vor allem an der Art, wie der Stein sich anfühlte, konnte der Empfänger die Botschaft ablesen. Am Ende des Films, als es für Worte zu spät ist, aber Gesten noch nicht vergeblich sind, wird Daigo vom verhassten Vater noch einmal einen solchen Steinbrief erhalten, einen kleinen, anmutigen Kiesel, dessen Botschaft Versöhnung heißt. In diesem Augenblick, so will es die Inszenierung von Yojiro Takita und nicht zuletzt die Musik von Joe Hisaishi, darf im Kinosaal kein Auge trocken bleiben. Der Regisseur setzt tiefes Vertrauen darein, dass auch das Leblose von berührender Beredsamkeit sein kann.

Bei über sechs Millionen Japanern und den Wahlberechtigten der Academy of Motion Picture Arts and Sciences ist diese Botschaft jedenfalls angekommen. Der Oscar ist nur die prominenteste einer ganzen Kaskade von Auszeichnungen, die über diesen bisweilen noblen Wohlfühlfilm hereingebrochen ist. In Japan wurde »Nokan – Die Kunst des Ausklangs«, vor dessen (angeblich) tabuisierten Thema anfangs sämtliche Studios zurückschreckten, zu einem veritablen gesellschaftlichen Phänomen. Sein wesentlich der Mundpropaganda zu verdankender Kassenerfolg hat nicht nur einen lebhaften Drehort-Tourismus ausgelöst, sondern Korrespondentenberichten zufolge auch einem bis dahin geächteten Berufszweig unverhofften Zustrom beschert.

Das Gewerbe, in das es Daigo (Masahiro Motoki) durch ein Missverständnis verschlägt – in der Stellenanzeige war vom Reisen die Rede, gemeint waren jedoch die letzten Reisen –, löst bei seinen Mitmenschen gleichermaßen Dankbarkeit wie Abscheu aus: Er arbeitet als Aufbahrer, reinigt und versorgt Leichen, bevor sie eingeäschert werden. Er schämt sich, seiner Frau (Ryoko Hirosue) zu sagen, womit er nun sein Geld verdient. Ein alter Jugendfreund behandelt ihn wie einen Ausgestoßenen, als er von dessen neuem Broterwerb erfährt. Nach seinen ungelenken Anfängen in dem Metier begreift er es jedoch bald als eine Berufung, der er mit solcher Hingabe nachgeht, dass er sogar seine Ehe aufs Spiel setzt.

Der Umgang mit dem Tod ist mitnichten ein verdrängtes Thema im japanischen Kino – man denke nur an Ozu, Mizoguchi oder Oshima –, aber Takita hielt es dennoch für nötig, ihm eine sentimentale, bisweilen humoristische Glasur zu verleihen. Das betulich Makabre und Lyrische, mit dem er sein Sujet ausmalt, bricht er oft genug durch komödiantische Intermezzi; wobei das eine Spur zu clowneske Spiel Motokis dankenswerter Weise von der sublimen Lakonie Tsutumo Yamazakis pariert wird, der seinen Chef und Mentor verkörpert. Takita begreift das Melodram als ein gleichsam geschütztes Terrain, das an tiefe Gefühle rührt, ohne verstörend sein zu müssen. Alles ist wohltemperiert und vorhersehbar in diesem Film; für jeden Konflikt findet Kundo Koyamas Drehbuch lässliche, mitunter verlogene Auswege. Die sentimentale Wucht wirkt nicht selten erschlichen, gar manipulativ. Zuverlässig setzt der Regisseur den Höhepunkten der Geschichte immer noch einen weiteren Tupfer der Rührung auf.

Die Aufbahrungsszenen geraten ihm indes zu einem berückend taktvollen Herzstück des Films. In den kunstfertig und zärtlich ausgeführten Ritualen halten sich Intimität und Transparenz die Waage: Vor den Augen der Hinterbliebenen scheint das Wesen der Verstorbenen noch einmal in tröstlicher Schönheit auf. Die Zurüstungen für die letzte Reise sind eine Geste der Nächstenliebe, die tief ins Herz einer Kultur blicken lässt, in welcher die Würde sich wesentlich in der äußeren Erscheinung manifestiert.

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