Kritik zu Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte

© Salzgeber

2024
Original-Titel: 
Ještě nejsem, kým chci být
Filmstart in Deutschland: 
27.02.2025
L: 
90 Min
FSK: 
16

Dokumentarfilm über die tschechische Fotografin Libuše Jarcovjáková, der aus nichts anderem besteht als aus ihren Fotos, Texten aus ihrem Tagebuch und, ganz wichtig, Musik und Geräuschen, die die unbewegten Fotos für Sekunden aus der unüberwindbaren Starre in ein bewegendes Leben holen

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Es ist der August 1968. Die Panzer des Warschauer Paktes rollen durch Prag, um sich den Versuchen, dem Sozialismus ein menschliches Antlitz zu verschaffen, entgegenzustellen. Die junge Libuše Jarcovjáková sieht dies mit Schrecken und in ihr entsteht der Wunsch, gesellschaftliches Leben im Bild festzuhalten. Obwohl sie mehrfach abgelehnt wird, ihr künstlerisch geprägtes Elternhaus gilt als politisch unzuverlässig, wird sie irgendwann ein Fotografiestudium abschließen und ihr ganzes Leben der zufälligen, spontanen Fotografie widmen. 

Einer Vivian Maier oder einem Robert Frank nicht unähnlich, fotografierte Libuše Jarcovjáková das Leben auf den Straßen, ging in verstaubte Kneipen, arbeitete in einer Druckerei, dokumentierte das Leben der Kollegen und hielt schließlich tschechische Roma, vietnamesische Gastarbeiter und Mitglieder der LGBT-Szene in Prag im Bild fest. Mit Hilfe einer Scheinehe mit einem deutschen Mann konnte sie Prag verlassen, ging nach Berlin und nach Tokio, wo sie als Modefotografin Karriere machte, und dann, weil ihr das wahre Leben fehlte, wieder zurück nach Berlin und schließlich zurück in ihre Heimat Prag, wo sie heute noch lebt.

All das sind Lebensdaten, die der Film in schwarzen Schrifttafeln festhält, tatsächlich aber beschränkt sich die Regisseurin Klára Tasovská darauf, Fotos zu collagieren und mit dem Tagebuchtext von Libuše Jarcovjáková zu unterlegen. 

Bei 20 000 Fotos in unterschiedlichen Ordnern ist das eine unglaubliche Leistung. Das Besondere dieses Filmes aber ist die Ton­ebene. Dazu arbeitete Klára Tasovská mit einem Trio junger Musikproduzenten zusammen, mit Oliver Torr, Prokop Korb und Adam Matej. Der ohnehin schon sehr rhythmische Schnitt wird durch harte, kompromisslose Musik und Klangexperimente forciert, einige wiedererkennbare Geräusche, die mit dem Dargestellten korrespondieren, erwecken den Eindruck einer natürlichen Lebendigkeit der unbewegten Bilder. Wenn eine Glocke, die im Bild unbewegt zu sehen ist, plötzlich erklingt, imaginiert man das Schwingen unwillkürlich hinzu. 

Mit diesem rauen Stil schafft es Klára Tasovská, den vielfach im Affekt entstandenen Bildern filmisch zu entsprechen. Die Zufälligkeit ihres Entstehens geht mit einer freien, offenen filmischen Struktur einher. Dazu gehört auch, dass halb belichtete Negative, die zu Beginn oder am Schluss einer analogen Filmrolle entstehen, nicht in den Müll wandern, sondern als fotografisches Zeitdokument in eigener Sache hinzugezogen werden. Viele Bilder sind unscharf, verwackelt oder in anderer Weise jenseits der Perfektion und bezeugen so den aktiven Moment jener Welt, die im künstlichen Schwarz-Weiß auch etwas Magisches hat. So wie der nackte Körper Entzauberung und Versprechen zugleich sein kann. Die Worte aus den Tagbüchern von Libuše Jarcovjáková sind persönlich und intim, erklären aber die Bilder nicht, so dass ein breiter assoziativer Raum entsteht. Besser kann man einem fotografischen Werk kaum gerecht werden.

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