Kritik zu The Neon Demon
Spieglein, Spieglein an der Wand: In seinem zweiten L. A.-Film nach »Drive« erkundet Nicolas Winding Refn die bizarre Modewelt der Stadt. Den Horror, den er dort entdeckt, nimmt er sehr wörtlich
Schönheit, sagt der von Alessandro Nivola mit herrlicher Arroganz ausgestattete Couturier einmal, sei nicht alles: »Sie ist das Einzige.« Ein Hauch Sarkasmus mag da mitschwingen, aber im Grunde meint er es ernst. Nur Äußerlichkeiten zählen in der Modebranche, Farben, Formen, Fabrikationen, und so »perfekt« wie die Stoffe und Entwürfe müssen auch jene sein, die sie präsentieren. Auch für sie ist Schönheit »die wichtigste Währung, die wir haben«.
Die schillernden Oberflächen der Modeszene von L. A. stehen im Zentrum des zehnten Films von Nicolas Winding Refn – und erweisen sich als perfektes Sujet für das eigenwillige, hyperstilisierte Kino des dänischen Dauerprovokateurs, der fünf Jahre nach »Drive« in die Westküstenmetropole zurückkehrt. Refn schwelgt in der puren Ästhetik cooler Designs, pompöser Sets und attraktiver Körper, er findet in der bühnenhaften Künstlichkeit der Fashion-Welt genau jene Mischung aus Sinnlichkeit und Abstraktion, die seine Arbeiten so unverwechselbar macht.
Wäre da nicht die mirakulöse Titelsequenz, die mit ihrem grell gelackten Farbenspiel (Rot!) und den sphärischen Elektrobeats von Cliff Martinez (»Carpenters« meets »Tangerine Dream«) direkt hineinführt in Refns rätselhaftes Zwischenreich, könnte man sich anfangs glatt in einer ganz normalen amerikanischen Erfolgsstory wähnen. Jesse (Elle Fanning), 16-jährige Waise vom Land, will es als Model schaffen und nimmt Los Angeles im Sturm. Mit ihrer natürlichen, unverfälschten Schönheit überzeugt sie Branchenveteranen wie die Agentin Jan (Christina Hendricks mit einem Kurzauftritt), die Visagistin Ruby (Jenna Malone) und den eingangs zitierten Modeguru. Und lehrt die Konkurrenz das Fürchten: Topmodels wie Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) spüren sofort, dass sie angesichts von Jesses zart-mädchenhafter Aura schnell ins Hintertreffen geraten werden.
In diesen ersten Minuten nimmt der Film recht deutlich die kalte Trivialität der Branche aufs Korn. Egoistische Exzentriker allenthalben, und keine Szene kommt ohne Spiegel aus. Selbst wenn sie ihr Gegenüber ansehen, schauen diese Menschen sich doch eigentlich nur selbst an. Später wird Jesse, die längst nicht so naiv und zartbesaitet ist, wie es zunächst den Anschein hat, ihr eigenes Spiegelbild küssen. »Ich bin nicht so hilflos, wie ich aussehe«, lautet ihr Credo. Für einen Mann ist da kein Platz: Die denkbare Romanze mit dem jungen Dean (Karl Glusman) lässt der Film ganz unspektakulär verpuffen; »The Neon Demon« gehört, im Gegensatz zu Refns bisherigen testosteronstrotzenden Heldenporträts, den Frauen.
Und dem Horror. Denn auf die gewohnt eklektizistische Weise wildert Refn auch dieses Mal im Genrekino und versetzt seine Story zunächst dezent, dann immer eindringlicher mit Versatzstücken des Horrorfilms. Gleich zu Beginn zeigt er Jesse als blutverschmierte, kunstvoll drapierte Badewannenleiche, was sich aber – Achtung: Metaebene! – als Fotomotiv erweist. Später scheinen die Horrorszenen dazu zu dienen, die Ereignisse auf verquer-ironische Weise zu kommentieren. Ist die Modebranche nicht ein Blutsaugergeschäft? Geht man hier nicht über Leichen? Refn spielt mit solchen Assoziationen, er zitiert Lynch, Hitchcock, De Palma, Polanski und Argento, lässt aber lange offen, ob sein Film Ernst machen oder doch nur postmodern spielen will.
Eine klassische Geschichte will Refn jedenfalls nicht erzählen (und schon gar keine schlichte Genremär). Immer wieder greift er zu rabiaten Ellipsen, schneidet Handlungsfäden und Figuren ab, und wenn Jesse zum ersten Mal auf den Laufsteg darf, driftet das Geschehen vollends in die Halluzination ab. Wie zuletzt im eisigen Bangkok-Thriller »Only God Forgives« treibt Refn ein raffiniertes Doppelspiel: Seine Erzählung oszilliert zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen konkreter Story und kühner Abschweifung, zwischen Reduktion und Exzess. Und wie man es auch dreht und wendet: Das Ganze lässt sich weder simpel kategorisieren noch eindeutig dechiffrieren. Es ist, tatsächlich, ein ganz eigenes Ding.
Kommentare
Kritik Frank Schnelle
Prima Kritik, den Film getroffen und auch deutlich gemacht, was daran besonders ist. Weder gelobhudelt noch diffamiert.
bst Gr
RR
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