Kritik zu Nathalie küsst
Über 700 000 Exemplare hat der gleichnamige Roman von David Foenkinos verkauft und 10 Literaturpreise eingeheimst. Nun hat der Autor ihn selbst verfilmt – mit Audrey Tautou als Star
Die Liebe gibt in diesem Film vor, unerwartete Wege zu gehen. Als sie sich zum ersten Mal zeigt, kommt sie als pedantische Fügung daher, beim zweiten erweckt sie den Anschein eines famosen Missverständnisses. Eine sanft anarchische Kraft wäre sie in beiden Fällen gern, ein romantischer Pakt gegen die Konvention. Hätte Nathalie damals im Café keinen Aprikosensaft bestellt, wäre aus ihr und François nie ein Paar geworden. Sie hätten keine Hochzeitsreise zu den Metrostationen unternommen, deren Namen Fernweh schüren – Rome, Argentine – und ihre Familien hätten sie eines Sonntagnachmittags auch nicht mit der Ankündigung alleingelassen, sie wollten nun im Nebenzimmer ihr erstes Kind zeugen. Ein Unfall, der François beim Jogging ereilt, setzt diesem Glück ein frühes Ende. Sodann stürzt sich die Witwe in die Arbeit. Sie ist unempfänglich für die scheue Zudringlichkeit, mit der ihr Chef Charles (Bruno Todeschini) sie umgarnt. So gehen die Jahre dahin, bis sie eines Tages, mehr aus Versehen denn aus Sehnsucht, ihren Mitarbeiter Markus (François Damiens) küsst.
Der Kniff bei dieser Liebesanbahnung ist, dass Markus von empörender Unscheinbarkeit ist. Nicht einmal seine Büronachbarn wissen von seiner Existenz. Seine Erscheinung, die schütter strubbligen Haare und die hängenden Schultern, dementieren jeden Anflug von Romantik. Welch unterschiedlichen Sphären sie angehören, demonstrieren schon die tückisch frontalen Einstellungen, in denen sie jeweils allein durch die Gänge der Firma gehen: Wie könnten seine lang baumelnden Arme je ihre exquisite Zierlichkeit umfangen, ohne beide der Lächerlichkeit preiszugeben? Nathalie wird sich selbstredend auf diese putzige Mesalliance einlassen, denn hinter seinem prosaischen Äußeren verbirgt sich ein poetisches und humorvolles Gemüt. Zunächst will sich der Zauber allerdings nicht recht einstellen. Ihre linkshändigen Komplimente (»Sie haben immer den gleichen Kopf. Das ist beruhigend«) und seine theoretische Angst vor einer Verletzung helfen der Liebe erst einmal nicht auf die Sprünge.
Der Regieneuling David Foenkinos meint es indes gut mit ihnen. Zusammen mit seinem Bruder Stéphane, den die Arbeit als Casting- Direktor nicht zwingend für diese Aufgabe prädestiniert, hat er seinen Erfolgsroman »La délicatesse« verfilmt. Der Originaltitel klingt eine Spur zu hochstaplerisch für einen Film, dem es letztlich an elegantem Zartgefühl gebricht. Sanft weht die literarische Verspieltheit des Buches in die Adaption hinüber. Sie liebäugelt mit dem koketten Raffinement, das aus gewissen Filmen von Bertrand Blier und Michel Deville vertraut ist, ohne jedoch deren kluge Sinnlichkeit zu erreichen. Die Foenkinos- Brüder beweisen ein schönes Gespür für das Ambiente, ansonsten aber kein eigenwilliges Erzähltemperament. Man wünschte sich, sie hätten Anstalten gemacht, Audrey Tautou endlich aus dem Rollenfach boulevardesker Niedlichkeit zu erlösen. Bei der Besetzung ihrer Partner hat das Regieduo hingegen einen Glücksgriff getan: Damiens lässt sicwacker auf einen Part ein, den man nicht undankbar nennen muss, und Todeschini ist erfreulich als träumerisch hadernder Chef.
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