Kritik zu Nanouk

© Neue Visionen Filmverleih

Zwischen dokumentarischer Nüchternheit und poetischen Landschaftsszenen erzählt Milko Lazarov von einem alten jakutischen Ehepaar in der Arktis und ihrem zunehmend mühseligen Alltag

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Eine Geschichte aus einer fernen Welt: »Nanouk« spielt in der Eiswüste Jakutiens, wo ein altes Ehepaar ein mühseliges Leben lebt. Seine Hauptnahrung sind Fische, doch deren Fang wird zunehmend beschwerlicher. Eine aufgestellte Falle wirft auch eher selten etwas ab. Die Rentierfelle, aus denen das Zelt besteht, künden von einer anderen Zeit, jetzt existieren Rentiere nur noch in den Erzählungen der beiden. Einmal sieht der Mann, Nanouk, ein Rentier am Horizont, aber ob es real ist oder nur seiner Imagination geschuldet, bleibt offen. Überhaupt muss Sedna, seine Frau, ihn wiederholt darauf hinweisen, dass er immer wieder Realität und Einbildung, gespeist aus Erinnerungen an die Vergangenheit, verwechselt.

Einmal kommt ein junger Mann, Chena, zu Besuch – die einzige Verbindung des Ehepaares zur Zivilisation und damit auch zu seiner Tochter Aga. Die hat die Eltern vor langer Zeit verlassen und arbeitet jetzt in der Diamantenmine, wie der Besucher weiß. Auf Sednas Frage, »Ist sie jetzt allein?« antwortet er mit einem unwirschen »Weiß ich nicht!« Offenbar waren die beiden einst ein Paar. Wenn Sedna ein Foto hervorkramt, das Aga als kleines Mädchen zwischen den Eltern zeigt, und dazu bemerkt, »Nanouk hat ihr bestimmt schon verziehen«, dann wird deutlich, dass das Thema Aga ein Tabuthema ist. Nanouk erzählt jederzeit fantastische Geschichten von magischen Rentieren, aber über seine Tochter mag er nicht reden, da ist eine große Verletzung spürbar.

Zum Abschied beschenkt Sedna Chena mit einem Paar selbst gemachter Handschuhe und erkundigt sich, ob die Diamanten­mine weit weg sei. Erst sehr viel später erzählt sie ihrem Mann, das Chena Aga getroffen hätte und äußert ihren Wunsch, sie gemeinsam zu besuchen. Dabei läuft ihr die Zeit davon, denn die Schmerzen, die ihr ein dunkler Fleck am Bauch verursacht, kann sie zwar mit einer selbst zubereiteten Salbe lindern, aber sie ahnt auch, dass sie nicht mehr lange zu leben hat.

»Nanouk«, der seine Weltpremiere im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb (außer Konkurrenz) hatte, ist die zweite Spielfilmarbeit des bulgarischen Regisseurs Milko Lazarov, der die Familienmitglieder mit theatererfahrenen Darstellern besetzt hat. Immer wieder erfasst die Kamera das Geschehen in Totalen und hebt damit die Bedeutung der Landschaft hervor, in der das Ehepaar verwurzelt ist. Im Mittelpunkt stehen die alltäglichen Dinge des Lebens, aber in den Erzählungen und in den Bildern scheint auch eine magische Ebene auf. Andererseits ist die Zivilisation schon vor dem Ende spürbar, in Gestalt eines Lasthubschraubers, der vorbeifliegt, während der Schlitten des Besuchers schon motorbetrieben ist. Irgendwann wird diese Lebensform ganz aussterben.

Wo der deutsche Verleihtitel Assoziationen an Robert Flahertys Klassiker »Nanook of the North« weckt, lautet der Originaltitel im Übrigen »Aga« – der Name der Tochter, die erst ganz am Ende des Films in Erscheinung tritt, vorher aber mehrfach Gegenstand der Gespräche ist. So thematisiert der Film­ Brüche und Verbundenheit.

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