Kritik zu Messer im Herz
Yann Gonzalez' Film ist eine Hommage an die Pariser Pornofilmszene der späten 70er Jahre und zugleich eine Verbeugung vor den Thrillern jener Jahre
Der erste Blickkontakt ist verheißungsvoll. Der junge Mann, der ekstatisch in einem dunklen Club tanzt, ist von dem etwas abseits stehenden Mann fasziniert. Der Fremde verbirgt sein Gesicht hinter einer Maske, was ihn für Karl nur noch attraktiver macht. Also folgt er dem Geheimnisvollen und geht ihm so ins Netz. Aus der Verheißung wird Verhängnis. Der Mann mit der Maske ist ein Mörder. Nachdem er Karl in einem erotischen Spiel geknebelt hat, zieht er einen schwarzen Dildo heraus, in dem sich ein Schnappmesser verbirgt.
Schon mit diesem ersten Mord offenbart der französische Filmemacher Yann Gonzalez seine großen Vorbilder. »Messer im Herz« gleicht einer Reise in die Vergangenheit, in eine Welt, die Anfang der 80er Jahre unwiederbringlich verschwunden ist. In Gonzalez neonfarbener Nachtfantasie sind die 70er Jahre nicht nur eine Ära, in der das Pornokino voller Lust queeren Sex gefeiert hat. Sie waren mit den italienischen Gialli und den voyeuristischen Thrillern eines Brian de Palma auch eine Zeit, in der von Genrefilmen noch ein verführerischer Zauber ausging. Die Bilder, die durch ratternde Projektoren liefen und auf die Leinwand projiziert wurden, hatten eine direkte erotische Kraft. Mit seinen Exzessen und seinem bedingungslosen Bekenntnis zur Schaulust der Menschen beschwor das Kino jener Jahre das Verdrängte und Verdeckte auf eine schwelgerisch-sinnliche Weise herauf.
Für Anne Parèze gibt es nichts, was sie verdrängen oder maskieren will. Die von Vanessa Paradis gespielte Produzentin schnell gedrehter Schwulenpornos macht vor nichts Halt, weder in ihrem Privatleben, das von ihrer zerstörerischen Liebe zu der Cutterin Loïs McKenna (Kate Moran) geprägt wird, noch bei ihrer Arbeit. Nach dem Mord an Karl beginnt sie umgehend, einen Film zu drehen, in dem ein irrer Mörder einen Pornodarsteller brutal getötet hat.
Alles ist in dieser Welt jenseits der bürgerlichen Gesellschaft möglich. Yann Gonzalez kreiert aber nicht nur ein nostalgisches Abbild der Pornoszene im Paris des Jahres 1979. Er erschafft sie aus dem Geist der Gegenwart noch einmal neu. Gerade in den Film-im-Film-Szenen offenbart sich etwas Utopisches. In Annes Filmwelt gibt es keine Außenseiter. Alle ihre Darsteller bilden eine verschworene Gemeinschaft, eine Art von Familie, in der es keine Tabus gibt. In dieses Idyll dringt der Mörder mit Gewalt ein, weil er glaubt, anders keinen Platz in ihr zu finden. Während Anne nach dem Killer sucht und dabei in einem verzauberten Wald, einem Reich zwischen Leben und Tod, Liebe und Hass, landet, verwandelt sich der Film. Der Thriller kippt nach und nach ins Melodram. Auch das verbindet Gonzalez' wild poetische Vision mit vielen Gialli und mit de Palmas Genrearbeiten.
»Messer im Herz« trifft mit seiner grandiosen Mischung aus Komik und Tragik, Extravaganz und Unschuld ins Herz des Zuschauers. Die von einer zutiefst wahrhaftigen Künstlichkeit geprägten Bilder entwickeln einen hypnotischen Sog. Wer sich ihm hingibt, erlebt noch einmal ein Kino, das Grenzen überschreitet, um ganz bei sich und seiner einzigartigen Magie anzukommen.
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