Kritik zu Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich
Benjamin Lavernhe spielt einen Mittdreißiger, der zwischen Liebeskummer und familiären Rücksichten in der Sackgasse steckt
In der Tragikomödie »Das Leben ist ein Fest« (2017) erregte Benjamin Lavernhe in der Nebenrolle eines arroganten Bräutigams, dem ein irres Missgeschick zustößt, erstmals die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums. Vorliegende Komödie, die Adaption des als unverfilmbar gegoltenen Romans »Le discours« von Fabrice Caro, ist so etwas wie sein filmisches Gesellenstück. Fast eine One-Man-Show, ist der Film außerdem eine elegante Stilübung, in der sich Form und Inhalt gegenseitig bedingen.
Den Rahmen bildet ein Familienessen bei den Eltern von Adrien, bei dem er seine Schwester und seinen zukünftigen Schwager trifft. Dieser bittet Adrien, bei der kommenden Hochzeit eine Rede zu halten. Mit diesem Ansinnen erwischt er den Mittdreißiger auf dem falschen Fuß, denn Adrien steckt in der Krise. Sehnsüchtig wartet er darauf, dass seine Freundin Sonia, die ihn für eine bereits über einen Monat dauernde Beziehungspause verließ, auf seine SMS antwortet. Und während das Essen seinen Gang nimmt, schweifen die Gedanken des Liebeskranken ab, wobei sich, ein schöner Running Gag, seine wechselhafte Gefühlslage in immer neuen Versionen imaginierter Hochzeitsreden auskristallisiert.
So explodiert inmitten der klassischen Einheit von Ort, Zeit und Handlung ein Multiversum aus Erinnerungen und wilden Fantasien. Bei der Veranschaulichung von Adriens Gedankenkarussell beweist Regisseur Laurent Tirard (»Der kleine Nick«) Originalität und Fingerspitzengefühl. Der von Rückblenden und imaginierten Szenarien gesäumte innere Monolog verformt auch die Gegenwart. Oft »gefriert« Adriens Umgebung – alle erstarren in ihrer Position – und er redet über Dinge, die ihn schon ewig stören, er sich aber nie zu sagen traute. Mal senken die plaudernden Gäste ihre Stimme und Adrien unterhält sich mit seinem Alter Ego oder er monologisiert, die vierte Wand durchbrechend, ins Publikum.
Es steckt viel Woody Allen in dieser redestarken Komödie, doch Lavernhe läuft besonders in den Hochzeitsautritten zu großer Form auf: vom hinreißend lässigen Showman über den gehemmten Nieselpriem, der mit schlechten Witzen die Leute vergrault, bis hin zum leutseligen Ratgeberonkel. Die Genauigkeit der Beobachtung des Allzumenschlichen hat viel Witz, etwa wenn er sich an seine Jugendliebe, »die zu den Mädchen gehörte, die sich plötzlich für Afrika begeisterten«, erinnert, sich vor der auf französischen Feiern unvermeidlichen Polonaise fürchtet oder Papas Verschwörungstheorien widerspruchslos hinnimmt.
Unabsichtlich aber verrät die in Film geronnene Weltsicht Adriens, dass er eventuell mehr als nur eine Nervensäge ist, seine Zimperlichkeit und sein Zynismus eine ungesunde Egozentrik andeuten. Damit schließt sich der Kreis zu Lavernhes Rolle, die ihm den Durchbruch bescherte – und dass man diesen Antihelden letztlich nicht sympathisch genug findet, um ihm die Rückkehr seiner Liebsten zu wünschen, trübt dann doch die Bilanz dieser ansonsten ziemlich perfekt komponierten Komödie.
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