Kritik zu Meine glückliche Familie
Warum will eine Frau über 50 plötzlich nicht mehr mit der Familie zusammenwohnen? Das Regieduo Nana Ekvtimishvili & Simon Groß (»Die langen hellen Tage«) erzählen von einer schwierigen Emanzipation nim Georgien von heute
»Ich will nicht mehr mit euch zusammen wohnen.« Ein Satz, der von Sohn oder Tochter früher oder später zu erwarten ist, und mit dem man dann als Mutter oder Vater eben irgendwie klarzukommen hat und das auch tut. Denn so ist eben der Lauf der Welt, Kinder verlassen das Nest der Eltern. Umgekehrt ist es nicht so einfach. Wenn Vater oder Mutter die Familie verlassen, ist der Grund dafür meist kein erfreulicher und oftmals in dauernden Zwistigkeiten oder entdeckter Untreue zu finden. Manana allerdings ist einfach nur erschöpft und will endlich ihre Ruhe. Man sieht es der Lehrerin für georgische Literatur, die dieser Tage ihren 52. Geburtstag feiern wird, gleich in der ersten Einstellung an. Sie hat Ringe unter den Augen und wirkt müde, das Gesicht ist leer, die Augen glanzlos, ohne Spannung die Bewegungen. Wo ihre Energie geblieben ist, das sieht man kurz darauf; es ist Morgen und Mananas Familie erwacht: ihre Eltern Lamara und Otar, ihr Mann Soso, ihre Tochter Nino mit Schwiegersohn Vakho, ihr Sohn Lasha; sieben erwachsene Menschen in einer Dreizimmerwohnung in Tbilissi, drangvolle Enge, Getriebe wie im Taubenschlag, Durcheinandergerede, Alltagstrott und routinierte Rücksichtslosigkeit. Und Mananas Mutter Lamara, die mit einer Mischung aus Jammern, Klagen und autoritärer Aggression nach wie vor das Regiment führt. Eine ebenso raffinierte wie unschlagbar manipulative Mischung, die sie wenig später auch skrupellos zum Einsatz bringt. Als nämlich Manana verkündet, dass sie ausziehen wird und damit beginnt, ihre Sachen zu packen. Und zur Begründung sagt Manana lediglich: »Ich will nicht mehr mit euch zusammen wohnen.«
»Meine glückliche Familie« ist noch keine halbe Stunde alt, als der erste Sturm heraufzieht, gewaltige Wellen heranbranden und sich vor der Kamera gischtsprühend brechen. So dramatisch zumindest sieht aus, was das Regieduo – die Georgierin Nana Ekvtimishvili und ihr deutscher Partner Simon Groß – da in Szene setzt. Die Schockwellen des Unverständnisses, die die Familie erschüttern, werden sichtbar in den zunehmend aufgeregteren Bewegungen ihrer Mitglieder, einem zunehmend hektischeren Hin und Her durch die Räume und zunehmend hitzigeren Wortgefechten. Bis die Sippe schließlich einem aufgescheuchten Hühnerhaufen ähnelt, der sich vor der Kamera zusammendrängt und mit Schimpfen, Krakeelen und Gezerre den Kader schier zersprengen will. Das passiert in der Folge noch einige Male, und jedes Mal raubt einem die Präzision von Schauspiel- und Kameraführung, die diese Szenen zu physisch mitvollziehbaren, kollektiven Temperamentsausbrüchen macht, regelrecht den Atem.
Demgegenüber steht nun der Frieden, der in Mananas kleiner Wohnung am anderen Ende der Stadt herrscht; dort sitzt sie im Sessel und isst Torte, aus dem Kassettenrekorder dringt ein hochtouriges Klavierstück von Mozart, während draußen vor der offenen Balkontür ein stürmischer Sommerwind die Bäume zaust. Sie schweigt, und niemand redet ihr drein.
Manana verlässt zwar ihre Familie, aber sie lässt sie nicht im Stich. Alles, was sie will, ist ein Raum für sich, in dem sie aus der Bewusstlosigkeit der ehefrau- und mütterlichen Aufopferung erwachen und sich von den Strapazen jahrelanger Selbstverleugnung erholen kann. Dass dies einer erwachsenen Frau im Georgien von heute derart schwer gemacht wird, bestürzt natürlich. Amüsiert aber auch, weil die patriarchalen Strukturen, mit denen Manana sich konfrontiert sieht, hoffnungslos vorgestrig wirken und sie aus jeder Konfrontation mit einem Mann, der vermeint, es besser zu wissen und ihr ansagen zu können, wo’s langgeht, schöner, stolzer und stärker hervorgeht.
Wovon Ekvtimishvili & Groß also erzählen, ist weniger das Ende als vielmehr der Anfang und handelt eher von Rettung denn von Zerstörung. Ein Frauenfilm, der seinem Gegenstand mehr als gerecht wird, und ein Familienfilm, der seinem Titel alle Ehre macht.
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