Kritik zu Maman und Ich
Alles über meine Mutter: In dieser filmischen Travestie zieht Guillaume Gallienne die Grenzen zwischen Homo- und Heterosexualität auf sehenswerte Weise neu
Jungs in seinem Alter identifizieren sich für gewöhnlich mit einem virilen Fußballstar. Doch Guillaume, jüngster von drei Söhnen einer großbürgerlichen Pariser Familie, interessiert sich nur für eines: die Stimme seiner Mutter. Am liebsten mag er es, wenn die aus Spanien stammende Frau in ihrer Landessprache spricht. Mit akribischer Hingabe studiert er jede Nuance ihres Tonfalls, den er bald so perfekt imitiert, dass zunächst die Großmutter, dann der Vater darauf hereinfallen.
In seinem Debüt betreibt Guillaume Gallienne eine etwas andere Form von Nabelschau. Tiefsinnig wie Almodóvar analysiert er das homosexuelle »Gesetz der Begierde«, jedoch auf seine Weise. Maman und ich basiert auf einem autobiografischen Stück, das der Autor 2009 als Buch veröffentlichte. Die selbstironische One-»Man«-Show avancierte in Frankreich zu einem der größten Publikumshits seit Ziemlich beste Freunde. Das ist kein Zufall, denn Galliennes sexuelle Eulenspiegelei spiegelt Form und Inhalt mit selten gesehener Konsequenz ineinander. Die vergnügliche Travestie erzählt nämlich nicht nur von einem Jungen, der in die Rolle einer Frau schlüpft. Diese Spielwut führt der Regisseur und Hauptdarsteller auch mitreißend vor. Beim Flamenco übernimmt er unwillkürlich den femininen Part und sein Privattheater bürstet das spanische Hofzeremoniell in Marischkas Sissi gegen den Strich.
Die einfallsreiche Inszenierung unterstreicht das subtile Schauspiel. So erscheint die ihm stets im Kopf herumspukende Mutter als reale – allerdings nur für ihn sichtbare – Figur. Sogar wenn Guillaume auf der Couch des Psychoanalytikers liegt, quatscht Maman eifrig dazwischen. Diese vollendete Identifizierung stellt der Film mit einem einfachen, aber genialen Schachzug dar: Der Hauptdarsteller spielt nicht nur sich selbst; er verkörpert auch die Mama, mit der er sich somit doppelt identifiziert.
Die gewitzte Spiegelfechterei droht gelegentlich in Klamauk umzukippen. Etwa wenn Guillaume auf den Spuren Ludwig II. in ein bayerisches Wellnesscenter reist, wo Diane Krüger ihn als »böse« Krankenschwester mit einem Einlauf entjungfert. Selbst wenn die Gags etwas grell werden, ist das verzögerte Coming-out aber stets von Mollakkorden grundiert. In Sachen sexueller Identität bleibt Guillaume Gallienne nämlich ein Suchender, der nicht so genau weiß, wo »er« hingehört. Sein Film bildet diese Verunsicherung adäquat ab –nach dem Motto: Das Spiel ist das Ziel. So zieht der Darsteller-Regisseur mit der Pointe noch einen Pfeil aus dem Köcher: Obwohl er gewiss »ein Mädchen« ist, kommt er mit Schwulen nicht klar; es stellt sich schließlich heraus, dass er Frauen mag. Ist er deswegen ein »normaler« Hetero, wie hier und da zu lesen war? Ein Kunstwerk ist Maman und ich nicht zuletzt, weil diese Frage gestellt, aber nicht beantwortet wird.
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