Kritik zu Luft
Anatol Schuster erzählt in seinem Langfilmdebüt von der Liebe zweier Mädchen, dem Schwebezustand zwischen Begehren und Verlustangst und davon, dass man loslassen muss
Sie ist flüchtig, eigentlich nur in Bewegung bewusst spürbar, dabei unbedingt lebensnotwendig: die Luft. In Anatol Schusters erstem Langfilm ist sie neben dem Wasser, das eine wichtige Rolle spielen wird, das entscheidende Element. Sie scheint allgegenwärtig, der Film atmet sie quasi mit jeder Pore. Konkret wird sie als Wind, der die Bäume des Waldes rauschen lässt, oder als unsichtbares Parkett für den zwischen den Hochhaustürmen tanzenden Spielzeugvogel von Manjas Nachbar. Und als Atem des Akkordeons von Manjas Schwester, das diesem herrlich unorthodoxen Debüt seinen tragikomischen Sommerblues gibt.
Alles beginnt mit einem buchstäblichen Knall, dem ein emotionaler folgt. Da zündet die wie ein Ninja vermummte Louk (Lara Feith) einen dicken Böller, um das Wild zu verschrecken, auf das es die Jäger abgesehen haben. Auf der Flucht dann stolpert sie über Manja (Paula Hüttisch), die, in diesem kurzen intimen Moment unter einem schützenden Felsen, gleich hin und weg ist. Damit nimmt die Annäherung der beiden Mädchen ihren Anfang, von der »Luft« traumwandlerisch aus der Sicht Manjas erzählt.
Viel mehr als eine thematische Nähe zu Abdellatif Kechiches »Blau ist eine warme Farbe« gibt es dabei nicht. Schuster interessiert sich weniger für das Physische oder das Konkrete überhaupt, er belässt seinen Film in einem Schwebezustand. Die Welt ist eine entrückte, irgendwo im gefühlten Nirgendwo an der deutsch-französischen Grenze, wo sogar die himmelblauen Hochhäuser der Siedlung, in der Manja lebt, etwas Verträumtes haben.
Die kasachische Oma erzählt allerhand spirituellen Kram, die Schwester spielt pausenlos ihr Akkordeon, und die Mutter schimpft über die Männer, die »ein Unglück« sind. Und die stille Manja, von Newcomerin Paula Hüttisch trotz rollenkonformer Zurückhaltung einnehmend gespielt, folgt Louk, der Rebellin. Nach Hause, wo sie gemeinsam mit ihr und ihrem Vater isst. Oder in die sonnendurchflutete alte Halle, in der die Mädels und rappenden Jungs herumhängen, die allesamt gut eine moderne Version der Lost Boys aus »Peter Pan« abgeben würden. Da werden auch die krummen Dinger geplant, etwa jenes, ein Schwein im Büro des Schuldirektors auszusetzen.
»Luft« erinnert zwischendurch ans Theater und hat in einigen wenigen Momenten etwas Aufgesetztes, behält aber stets seinen einnehmenden Charme. Und trotz der pausenlosen Poesie, mit der Schuster seinen Film auflädt, wird es niemals kitschig. Auch nicht als die Geschichte um die beiden Mädchen dichter wird und sich herauskristallisiert, dass Louks inneres Brodeln einer Wunde aus der Vergangenheit geschuldet ist, bei deren Überwindung Manja helfen kann.
Schuster empfiehlt sich als talentierte Stimme des deutschen Films und erzählt eigensinnig vom jugendlichen Leichtsinn, von Liebe, Verlust und davon, dass man seinen Turm verlassen muss. Wie Manja. Recht am Anfang sieht man sie zwei Mal hinter Fenstern, getrennt von der Welt, bevor es sie später so richtig hinauszieht. »Loslassen« lautet schließlich ihr Credo. Und abheben, möchte man hinzufügen.
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