Kritik zu Luchadoras
Kein Opfer sein: Paola Calvo und Patzrick Jasim zeichnen in ihrer Dokumentation ein intimes Porträt mexikanischer Wrestlerinnen als empowernde Gegenerzählung zu Machismo und Femizid
Ciudad Juarez gilt als eine der gefährlichsten Städte weltweit. Vor allem für Frauen. Die mutmaßlichen Motive für die beispiellose Serie an Femiziden, die seit den 1990er Jahren andauert, sind zahlreich und ungeklärt: Drogenkrieg, Serienkiller oder häusliche Gewalt vermischen sich hier. Täter werden selten gefasst, viele der Opfer nie gefunden. Paola Calvos und Patrick Jasims Dokumentarfilm »Luchadoras« beginnt folgerichtig mit der Geschichte einer Vergewaltigung, wie sie in Ciudad Juarez alltäglich ist. Es ist die Überleitung zu ihren Protagonistinnen, die als Kunstfiguren Lady Candy, Baby Star und Mini Sirenita zum Wrestling in den Ring steigen. Ihre Motivation: Kein Opfer sein.
Lady Candy ist erst Anfang 20, blickt aber schon auf eine gescheiterte Ehe mit einem gewalttätigen Mann zurück, der ihre beiden Töchter nach El Paso entführt und ihr den Kontakt verweigert hat. Ihren Lebensunterhalt verdient sie in einem Bestattungsunternehmen, in ihrer Freizeit trainiert sie sich und andere, um in den Ring zu steigen. Baby Star – Gesicht und Identität stets durch eine Maske verdeckt – wurde von ihrem Vater zur Kämpferin ausgebildet und trainiert jetzt ihre kleine Schwester Little Star. Mini Sirenita ist schon Großmutter, hat ihre Tochter alleine großgezogen. Sie arbeitet nachts in einer der US-amerikanischen Montagefabriken, den Maquiladoras, die seit Abschluss des Freihandelsabkommens NAFTA in Grenznähe errichtet wurden und in denen vor allem Frauen zu prekären Bedingungen schuften. Für ihre Kämpfe lässt sich die kaum einen Meter große Frau in den Ring heben, um dort kräftig einzustecken und auszuteilen.
Die »Luchadoras« erzählen ihre Geschichten selbst aus subjektiver Perspektive. Die Narration bleibt episodisch und der rote, dramaturgische Faden um einen Visumsantrag oder die Kampfkarriere stellenweise vage. Wenn Baby Star bei einem Kampf k.o. geht und von Sanitätern abtransportiert wird, um nur wenig später wieder gesund zu sein, bleiben einige Zusammenhänge unklar. Erzählerisch wirkt das stellenweise wie ein unvollständiges Puzzle.
Visuell operiert »Luchadoras« hingegen auf hohem Niveau. Die Panoramaeinstellungen von Stadt, Wüste oder Grenzregion gehören ebenso auf die Kinoleinwand wie die Kampfszenen. Zeitlupen setzen die Kämpferinnen in Szene und zeigen, welche Kraft, Ausdauer und auch akrobatischen Fähigkeiten nötig sind, um im Ring zu bestehen, wo längst nicht alles Show ist.
Nah an den Luchadoras, ohne Pathos aber mit Respekt für deren physische wie emotionale Kraft ist die Kamera mittendrin und umkreist die Frauen und ihre Körper, privat und im Kampf, ohne sie zu exponieren. Dieser empathische Umgang zeichnete schon Calvos Regiedebüt »Violently Happy« aus, mit dem sie in eine andere Dimension des Schmerzes, rund um Faszination und Schönheit der BDSM-Szene, eintauchte. »Luchadoras« gelingen so visuell eindrucksvolle, poetische Bilder, die patriarchalen Machismo und Femizide nicht verharmlosen, ihnen aber eine andere, empowernde Erzählung entgegensetzen.
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