Kritik zu Lone Ranger
Vom Meer auf die Prärie: Mit diesem opulenten Spektakel unterzieht das Erfolgstrio Gore Verbinski, Jerry Bruckheimer und Johnny Depp das Westerngenre der »Fluch der Karibik«-Behandlung
Die Weiten der Prärie und die Wasserwüsten des Ozeans sind eine unwiderstehliche Spielwiese für filmische Fantasien. Und dies, obwohl die Piraten- und Westerngenres spätestens seit den Megaflops Die Piratenbraut und Wild Wild West als Kassengift galten. Dem Trio Gore Verbinski, Jerry Bruckheimer und Johnny Depp gelang es, mit seinen Fluch-der-Karibik-Blockbustern den Piratenfilmfluch zu brechen. Doch ihr Versuch, mit der Verfilmung der noch fürs Radio kreierten Serie »Lone Ranger« auch die nostalgische Pferdeoper für ein Familienpublikum zu rehabilitieren, scheitert an einem inneren Widerspruch. Denn es ist unmöglich, die Eroberung des Westens mit dem Pathos vergangener Tage darzustellen. Zugleich aber verbietet es sich, à la Der Schuh des Manitu auch die Tragödie der Indianer zu parodieren. Und die bruchlos zwischen alberner Komik und tiefer Tragik schwankende Tonart macht auf Dauer einfach keinen Spaß.
Der Film schildert das Zusammenwachsen des frisch geschrubbten Anwalts John Reid (Armie Hammer) und des schrägen Indianers Tonto (Johnny Depp) zu ziemlich besten Freunden. Anders als in der Serie verlagert sich der Schwerpunkt auf Tonto, der mit seinen Erzählungen die Geschichte einrahmt. Und schon hebt unter den Zuschauern erwartungsvolles Kichern an, wenn Kultpirat Depp mit »deadpan«-Grimassen als indianischer Zausel auftaucht. Doch die Gleichung freakiger Freibeuter = freakiger Indianer geht von Anfang an nicht auf. Wenn das Trauma Tontos enthüllt wird, bleibt einem das Lachen erst recht im Halse stecken. Leichter hat es Schwiegermuttertraum Armie Hammer, der sich bereits im emanzipatorischen Märchen-Update Spieglein, Spieglein geduldig demontieren ließ. Auch diesmal schreit seine Ken-hafte Schönheit danach, in den Dreck gestoßen zu werden. Als geschniegelter Jurist, der sich nach der Ermordung seines kernigen Bruders mit Tontos Hilfe zum maskierten Rächer wandelt, macht der naive Märchenprinz immerhin eine Entwicklung zum tollpatschigen »Lone Ranger«-Outlaw durch – während Depp in der Sackgasse des traurigen Clowns steckenbleibt.
Obwohl Verbinski seinen Film mit diesem »odd couple« in die Humorfalle manövriert, muss man doch anerkennen, dass er alles unternimmt, um für Kurzweil zu sorgen. Nach dem Fluch-der-Karibik-Rezept dreht er wilde inhaltliche Pirouetten und stopft die Geschichte mit so viel Absonderlichkeiten und 3-D-Action voll, dass der Zuschauer mehr als genug für sein Eintrittsgeld zu sehen bekommt. Kintopp, das auf dem Jahrmarkt beginnt und endet: Tonto, eine greise Erscheinung in einer Wildwestschaubude der 30er-Jahre, bringt mit seinen Geschichten einen kleinen »Lone Ranger«-Fan zum Staunen. In Rückblenden entfaltet sich rund um die historische Wegmarke des Baus der Transcontinental Railroad, nach dem Ende des Bürgerkriegs, eine wirre Intrige. In endlosen Verzweigungen geht es, zweieinhalb Stunden lang, um die Gier der Weißen nach Silber, den Vertragsbruch mit den Komantschen, Massakern an den Indianern, aber auch um chinesische Eisenbahnkulis, Ganoven, Schamanen und einen beseelten Schimmel. Es gibt Brüderpaare, eine Jugendliebe, eine Bordellwirtin, die à la Planet Terror ein Gewehr in ihrer Elfenbeinprothese verbirgt; Leitmotive wie eine Silberkugel und -taschenuhr, und neben der aus der »Wilhelm Tell«-Ouvertüre entliehenen Titelmelodie, Reminiszenzen an Spiel mir das Lied vom Tod. Und, und, und.
Das Angebot ist buchstäblich erschöpfend, aber stellenweise sehr unterhaltsam. So präsentiert Augenmensch Verbinski quer durch New Mexico, Utah und Colorado eine Enzyklopädie fordistischer Landschaften sowie Wow-Action rund um die Eisenbahn: Toll, was man mit einem Zug alles anstellen kann. Der ganze Zauber ist von jenem punkigen Temperament geprägt, das sich schon in Verbinskis erstem Langfilm Mäusejagd bemerkbar machte und sich über den Westernanimationsfilm Rango bis zu diesem unberechenbaren Spektakel zieht. Deshalb gehört das wild wuchernde Kaspertheater weniger zu Disney als zur Kategorie bizarrer Neowestern wie Jim Jarmuschs Dead Man – in dem Johnny Depp, bereits 18 Jahre vor Lone Ranger, mit indianischem Hokuspokus Erfahrung sammelte.
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