Kritik zu Life on the border
Der kurdische Regisseur Bahman Ghobadi drückte einer Gruppe Flüchtlingskinder Kameras in die Hände und ließ sie drehen
Bahman Ghobadis Lebensthema sind die kurdischen Kinder, die Leidtragenden der Kriege um ihr zerrissenes Volk ohne Land. Der im Westen des Iran nahe dem Irak geborene Regisseur weiß, wovon er erzählt. Im ersten Golfkrieg verlor er einen Teil seiner Familie und musste lernen, sechs Geschwister zu ernähren. Seit seinen Jugendklassikern »Zeit der trunkenen Pferde« und »Schildkröten können fliegen« versucht Ghobadi, der schier nicht in Worte zu fassenden Mischung aus Trauer und Entsetzen, Tapferkeit und Überlebenswitz der Kinder aus verheerten kurdischen Dörfern und Camps Gesichter und Stimmen zu verleihen.
In »Life on the Border« tritt der Regisseur nun persönlich hinter seinem Anliegen zurück. 2015 gewann er Kameramänner für die praktische Unterweisung von Jungen und Mädchen in syrischen und irakischen Flüchtlingscamps, stellte den 12- bis 14-Jährigen Kameras zur Verfügung und ermunterte sie, in Kurzfilmen vom Leben ihrer Altersgenossen zu erzählen. Sieben starke, mit dokumentarischer und poetisch-phantastischer Verve gedrehte Episoden kompilierte Ghobadi zu seinem Film. Ursprünglich ein Nebenprodukt seines Spielfilms »Flag without a country«, in dem zwei exilkurdische Pop-Ikonen Flüchtlingskinder für ihre Projekte casten, gelingt den Kurzfilmen ein weitaus eindrücklicherer Einblick in hierzulande verdrängte Wirklichkeiten.
Die Filme entstanden in Camps nahe Kobanê und Sindschar, wo der IS 2014 entlang der Fernstraßen in Syrien und dem Irak sein Terrorregime errichtete. »Life on the Border« macht die Folgen dieser brutalen Okkupation deutlich und stemmt sich doch in jeder Episode gegen das Grauen. Basmeh Soleiman, ein Mädchen in Jeans, das auf der Flucht durch eine Landmine die linke Hand verlor, hantiert geschickt mit dem Stativ und sucht in den Zeltgassen ihre Freundinnen zusammen, die einen flammenden Appell an die Welt richten, ihre vom IS versklavten Mütter und Schwestern zu befreien. In einem anderen liebevollen Versuch, das brennende Thema sexueller Gewalt gegen jesidische Mädchen und Frauen anzusprechen, begleitet die Kamera einen Jungen dabei, wie er seine traumatisierte kleine Schwester versorgt und ihr mit einem riskanten Spiel auf der von endlosen Tankwagenkolonnen befahrenen Straße hinter dem Lagerzaun ein Lächeln abringt.
Alle Kinder haben Familienangehörige verloren. Vorzeitig erwachsen folgen sie ihren täglichen Routinen auf dem Weg zur Wasserstelle, zu behelfsmäßigen, notorisch unterversorgten Sanitätsstützpunkten, immer in Bewegung, um medizinische Hilfe zu organisieren. Fast skurril schildert Diar Omar die Suche eines von Brandwunden gezeichneten Jungen nach einer Brille für das eine freie Auge seines vollkommen eingegipsten und in Mullbinden verpackten Vaters.
»Life on the Border« porträtiert eine verlorene Generation, aber wie zum Trotz widerlegt die Lust der Kinder am Filmemachen, wie sie die Schlussepisode zeigt, die große Elegie.
Kommentare
Displaced children
Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, die fotografische Arbeit "Kindergeschichten aus Syrien, Irak, Ukraine und Iran" vom deutschen Fotograf Kilian Foerster anzusehen.
Dort kommen viele unterschiedliche Kinder zu Wort.
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