Kritik zu Lauf Junge lauf

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Pepe Danquart verfilmt den gleich­namigen Tatsachenroman von Uri Orlev und setzt in der Schilderung des Über­lebensdramas um einen jüdisch- pol­nischen Jungen einmal mehr auf emotionale Betroffenheit

Bewertung: 3
Leserbewertung
3.2
3.2 (Stimmen: 5)

Spontan springt der Junge auf den Karren eines Trödlers und versteckt sich unter dem Gerümpel. Ein SS-Mann, der mit dem Bajonett die Ladefläche durchsucht, verfehlt ihn nur um Zentimeter. So gelingt dem achtjährigen Srulik 1942 die Flucht aus dem Warschauer Ghetto. Bis Kriegsende muss er hungernd und frierend durch Polen irren. Zunächst mit anderen Kindern, später allein, schlägt er sich als Hühnerdieb oder Erntehelfer durch. Auf den Etappen seiner aberwitzigen Odyssee gerät er an hilfsbereite Bauern und Verräter, muss vor SS-Leuten davonlaufen, sich in doppelten Kellerböden verstecken und verliert sogar einen Arm: Aber er überlebt.

Mit Filmen wie Schindlers Liste, Der Pianist und der Komödie Das Leben ist schön wurde der Holocaust im Kino allmählich präsenter. Nun wagt auch Pepe Danquart eine filmische Annäherung an die Shoah. Der Oscarpreisträger erzählt die authentische Geschichte des Juden Yoram Friedman, dessen bewegendes Schicksal der israelische Kinder- und Jugendbuchautor Uri Orlev als Tatsachenroman niederschrieb. Nach einem Drehbuch von Heinrich Hadding, an dem der Regisseur mitwirkte, erzählt der Film die Geschichte nicht chronologisch. Zu Beginn bricht der von den Strapazen entkräftete Junge vor der Tür eines Bauernhauses zusammen. Während man ihn wieder aufpäppelt, zeichnet eine Rückblende Stationen seines Leidenswegs nach. In einem absurd-komischen Rollenspiel schult die couragierte Bäuerin Magda (Elisabeth Duda) ihren Schützling, sich als katholischer Waisenjunge Jurek Staniak auszugeben. Das Versteckspiel mit der jüdischen Identität, neben dem Überlebenskampf das zentrale Thema, erinnert an Agnieczka Hollands Hitlerjunge Salomon.

Bei der filmischen Umsetzung des kindlichen Überlebenskampfs vermisst man manchmal die Inspiration. Zwar versetzen die Schauplätze den Zuschauer glaubhaft in eine polnische Dorflandschaft der 40er Jahre. Die Weite der schneebedeckten Felder drückt die Einsamkeit des Jungen aus, der von den Zwillingen Andrzej und Kamil Tkacz überzeugend dargestellt wird. Doch die Tonlage bleibt meist gleich: Beweint Srulik mit heißen Tränen seinen einzigen Freund, einen Hund, der er gesund gepflegt hat, dann ist die emotionale Betroffenheit vorprogrammiert. Die Musikuntermalung hätte auch dezenter bleiben können.

Spannung kommt auf, wenn die Per­spektive sich erweitert: Eine wohlhabende Gutsbesitzerin hat einen Narren an dem Jungen gefressen, doch ihr Freund ist ausgerechnet jener SS-Offizier (Rainer Bock), der Srulik kurz zuvor erschießen wollte. Da er seine Geliebte bei Laune halten will, »schenkt« er ihr den Jungen. Hat der Nazi ein Herz, oder ist er nur berechnend? Das Drama spitzt sich zu, als Srulik sich die Hand in einer Dreschmaschine quetscht und ein Krankenhausarzt dem jüdischen Patienten die überlebenswichtige Operation verweigert. Ein SS-Mann, der nicht das Abziehbild eines Ungeheuers ist, und ein junger Mediziner, der aus karrieristischen Gründen seinen Berufseid bricht: Hier geht der Film unter die Haut, doch solche Momente bleiben rar.

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