Kritik zu Kulissen der Macht
Dror Moreh hat einen erschütternden Dokumentarfilm gedreht über die Dilemmata der internationalen Politik und die Ambivalenzen geplanter Eingriffe, die Dinge wie Chemiewaffeneinsatz oder Genozid verhindern sollen
Es ist ein Kardinalfehler. Als US-Präsident Barack Obama einmal bei einer Pressekonferenz auf eine hypothetische Frage antwortet, weiß er wahrscheinlich sofort, dass er da so leicht nicht mehr rauskommt. »Was würde er tun, wenn der Präsident von Syrien, Baschar al-Assad, Giftgas zum Einsatz brächte, um seine politischen Gegner zu bekämpfen?«, fragte ein Journalist. Dann, so entgegnete Obama, wäre für ihn eine rote Linie überschritten. Und als es dann so weit war, als Hunderte Menschen starben, darunter Kleinkinder und Säuglinge, passierte nichts. Sei es aus Angst vor der Reaktion Putins, der Assad unterstützte und den Giftgaseinsatz den Rebellen zuschrieb, oder tatsächlich, wie Obama behauptete, um noch einmal auf diplomatischem Weg zu versuchen, Frieden in Syrien herzustellen.
Eines wird an dieser Szene, die zentral ist für Dror Morehs »Kulissen der Macht«, deutlich: Fast immer gibt es ein Dilemma, wenn man nach einer Entscheidung sucht, um Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Und noch eine Frage ist zentral: Wie ernst ist es den USA, nach Auschwitz auf einem »Nie wieder« zu beharren und die Rolle des Weltpolizisten zu übernehmen? Und wenn man sich zum Eingreifen entschied, wurde zu oft das Danach einfach nicht mitgedacht.
Dass nach dem Ende Saddam Husseins ein IS entstehen und Terror über eine ganze Region bringen würde oder dass Afghanistan nicht von selbst zur Demokratie finden würde, spielte für die Entscheidung einzugreifen oder eben nicht keine Rolle. Es ging den Vereinigten Staaten ausschließlich um eine Definition: Ist das, was in den jeweiligen Ländern passiert, ein Genozid oder nicht? Leidet Ruanda unter einem Bürgerkrieg oder muss man sich einmischen? Und wenn ja, braucht es dann mehr als nur die Entscheidung des Präsidenten der USA oder muss man den Kongress befragen bzw. Bündnispartner in Europa oder anderen Teilen der Welt? Eine klare Antwort gibt es nicht. Was bleibt, ist ein erschütterndes Dokument überdeutlicher Grausamkeiten, die jeder weit von sich weisen möchte, die aber trotzdem geschehen.
Der renommierte israelische Regisseur Dror Moreh (»Sharon«, »Gatekeepers« und »The Human Factor«) hat sich immer wieder Fragen über politische Gewalt gestellt und gegen die Aufweichung der Demokratie, die Einschränkung von Grundrechten und jede Form von Kriegsverbrechen angekämpft. »Kulissen der Macht« ist sein radikalster Film. Man fragt sich, wie er an sein verstörendes Material gekommen ist, wie er es schaffte, die wichtigsten Vertreter amerikanischer Politik vor die Kamera zu bekommen und ein derart bedeutendes Dokument herzustellen. Ästhetisch durchdacht, mit CGI und moderner Technik in Form gebracht, lassen einen die vielen Bilder von toten Kindern, von Exekutionen und brutaler Folter nicht mehr los. Vor allem deshalb nicht, weil es keine Lösung gibt. In einer Welt, in der Egoismus wächst, Menschen sich kaum noch um ihre Nachbarn kümmern und Politik mit Eigennutz verschmilzt, werden auch die Konflikte drastischer. Und selbst wenn man das irgendwie schon wusste, ist es etwas anderes, es zu sehen.
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