Kritik zu Kabul, City in the Wind

© Jip Film

2018
Original-Titel: 
Kabul, City in the Wind
Filmstart in Deutschland: 
18.11.2021
L: 
88 Min
FSK: 
12

Regisseur Aboozar Amini folgt in seinem 2018 gedrehten Dokumentarfilm drei Menschen durch die Millionenstadt Kabul, in der die Traumata von Gewalt, Krieg und Terror beständig spürbar sind 

Bewertung: 4
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Die Gedenkstätte liegt über der Stadt. Aufgerichtete Steine erinnern an die Toten genau wie große fotografische Porträts, die danebenstehen. Fahnen in Rot und Grün, die Farben Afghanistans, flattern im Wind. Es sind die Toten eines Selbstmordattentats, derer hier gedacht wird, vielleicht 70 Menschen. Der Vater führt seine beiden Söhne Afshin und Ben über die Gedenkstätte des Attentats von 2016. Einer seiner Freunde sei dabei ums Leben gekommen, erklärt er ihnen, und er wurde verletzt. Weil es für ihn als ehemaligen Soldaten zu gefährlich geworden sei, gehe er für eine Zeit außer Landes, erklärt er den Kindern. Und Afshin, der Ältere, sei nun der Herr im Haus, müsse einkaufen und sich um das Wässern des Hauses kümmern. 

Die Kamera folgt den Jungen, wenn sie auf einer Höhe über der Stadt Steine den Berg hinunterwerfen oder in einem eingegrabenen Panzer spielen. Immer wieder blickt der Film auf die aus Hunderttausenden von ockergelben Rechtecken bestehende Stadt, die unter einem Nebel aus Staub liegt. Afshin und Ben leben in einem Viertel, das sich mit ebenso rechteckigen Häusern den Berg hinaufzieht. In der Stadt arbeitet der Busfahrer Abas. Er ist eigentlich ein lebensfroher Mann, der auch schon mal eine Haschischzigarette raucht. Sein Mercedes-Bus ist ein altes Modell, »Habel Baumaschinen« steht noch darauf. Abas bildet die zweite Erzähllinie des Films, anfangs fährt er durch die Straßen mit ihrem quirligen Leben, den vielen Ständen an der Seite, später geht sein klappriger Bus kaputt. 

Einmal zeigt der Film Abas' Gesicht in Großaufnahme. Wenn er auf sein Leben zurückblicke, sagt er, seien nur zehn Prozent friedlich gewesen. Diese Großaufnahmen sind ein sorgsam gewähltes Stilmittel, ein Kontrast zum quirligen Leben der mit gelbem Staub überzogenen Metropole, ein Ruhepol auch. Afshin erzählt von seinen nächtlichen Träumen, wünscht sich ein Leben ohne Selbstmordattentate.     

Regisseur Aboozar Amini hat seinen Film schon 2018 gedreht. Als er ungefähr so alt war wie Afshin, ist er selbst emigriert, in die Niederlande, hat später dann an der London Film School studiert. Diesen fremden und doch gleichzeitig vertrauten Blick spürt man in diesem Film, der von einer Normalität unter den Vorzeichen von Gewalt und Terror erzählt, aber auch von einem durch Armut geprägten Alltag, ein rundum geglückter Versuch, das Leben von Menschen zu einem Porträt einer Stadt oder eines Landes zu extrapolieren. Heute, nachdem die Taliban ganz Afghanistan erobert haben, wirkt »Kabul, City in the Wind« wie ein fast schon utopischer Blick zurück in eine Ära der Freiheit und auch Unbeschwertheit, trotz allem. Und man fragt sich, was aus den dreien und ihren Familien geworden ist. 

Meinung zum Thema

Kommentare

Wenn Aboozar Amini den Dokumentarfilm, wie Sie gleich zwei Mal in diesem kurzen Text betonen, 2018 gedreht hat, ist es ziemlich außerordentlich, dass er ihn im selben Jahr sogar fertiggestellt hat. Für einen Dokumentarfilm, wo ja meist nicht nur über längere Zeiträume gedreht wird, sondern auch die Montage, speziell bei so komplexen Themen und mehreren Figuren, selten weniger als ein halbes Jahr dauert, eine unglaubliche Leistung, die der Text gar nicht zu würdigen weiß.
(Oder ist vielleicht das Jahr der Fertigstellung falsch angegeben?)

Da der Film am 14. November 2018 im Programm des Amsterdam International Documentary Film Festivals lief (Info aus der IMDb), sollte 2018 als Jahr der Fertigstellung korrekt sein. Besten Gruß aus der Redaktion.

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