Kritik zu Jung & Schön

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Warum wird ein junges Mädchen von 17 Jahren nach seiner Defloration zum Callgirl? François Ozon beleuchtet mit dieser Frage zum zweiten Mal nach »In Ihrem Haus« die Probleme der Adoleszenz

Bewertung: 3
Leserbewertung
2.666665
2.7 (Stimmen: 3)
Das Fernglas ist starr auf das junge Mädchen am sommerlichen Strand gerichtet, das scheu um sich blickt, ehe es sein Bikini­oberteil auszieht. Noch jünger ist der Voyeur, der hinter dem Fernglas zum Vorschein kommt. Es ist ihr kleiner Bruder, noch ein Kind, ein altkluges. François Ozon, der Eklektiker des neueren französischen Kinos, hat bereits seinen letzten Film auf dem Rear-Window-Effekt aufgebaut und einen Späher in fremde Familienverhältnisse eingeschleust. Aber in »Jung & Schön« wechselt der Blick alsbald zur Protagonistin selbst, die ihre spätere Doppelrolle in einer Art Vision vorwegnimmt. Sich selbst beim »ersten Mal« zuzuschauen, neben sich zu stehen und das merkwürdige Geschlechtertreiben aus der Distanz zu erleben, da sein und doch woanders – damit stellt der Regisseur ein Bild von Adoleszenz in den Filmraum, das jegliche Romantik ausblendet. Damit wird aber nicht nur die Enttäuschung, sprich Desillusionierung der jungen Frau, sondern auch die des Zuschauers betrieben. Die Urszene des ersten Schritts in die Erwachsenenwelt scheint nur mehr ein Experiment zur Erkundung des Körpers als sexuelles Werkzeug oder als zu optimierende Lustmaschine.
 
Die Story liegt darin, dass diese Isabelle das Experiment noch weiter treibt. Zurück in der Schule zückt sie nicht das Pausenbrot, sondern das Handy, um hinfort ihre Dates in diversen Hotelzimmern zu koordinieren. Die Frage drängt sich auf: Warum entscheidet sich die schöne Tochter (Marine Vacth) aus gutem  und verständnisvollem bürgerlichen Elternhause nach ihrem siebzehnten Geburtstag dazu, ihren Körper hinfort für dreihundert Euro feilzubieten? 
 
Das Rimbaud-Zitat »Mit 17 ist man nicht so ernst zu nehmen«, das Ozon mit dokumentarischer Verve und einem Gruß an Godard in seinen Film einschleust, klingt zunächst nach einem literarischen Feigenblatt. Alles falsche Fährten! Dazu gehört auch, dass Ozon die strenge Gliederung seines Films in »Vier Jahreszeiten« à la Rohmer mit den gehauchten Weisheiten einer Françoise Hardy aufhübscht, die den  Satz »Je suis moi!« vor den Abspann stellen darf. Aber Isabelle ist alles, nur keine verzweifelte Rohmersche Sinnsucherin!
 
Man könnte spekulieren, aber dafür ist die Filmerzählung zu stringent entwickelt, ein Stichwort jagt das andere, um einem Handlungsstrang nach dem andern die tiefere Bedeutung wieder auszutreiben. Aus Geldnot handelt Isabelle nicht. Um gegen das letzte Tabu in unserer Laissez-faire-Gesellschaft zu verstoßen? Eher nicht. Eltern, Psychologen oder auch einem verliebten Klassenkameraden bietet sie meist schweigend die Stirn. Dafür schiebt Ozon dem bitteren Ende der Geschichte  einen Epilog hinterher und schickt mit Charlotte Rampling seine stärkste Waffe in den Ring, deren Lächeln über jeden Verdacht erhaben ist. Was war das nun? Ein wahres Anliegen oder nur eine Stilübung? Keine Botschaft ist auch eine Botschaft. Und die lautet vielleicht nur – um bei  Rimbaud zu bleiben: »Ich ist ein anderer.«

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