Kritik zu Je suis Charlie

© Temperclayfilm

Der Dokumentarfilm von Daniel und Emmanuel Leconte schildert mit Interviews und Archivaufnahmen die Vor- und Nachgeschichte der Anschläge auf das Satiremagazin »Charlie Hebdo«

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Der Schock steht den Interviewten in Daniel und Emmanuel Lecontes Dokumentarfilm »Je suis Charlie« noch in die Gesichter geschrieben. Wenn Laurent Sourisseau, Coco und Marika Bret sich vor der Kamera an die Ereignisse vom 7. Januar 2015 erinnern, an dem ihre Freunde und Kollegen vom Satiremagazin »Charlie Hebdo« im Kugelhagel von islamistischen Attentätern starben, geraten ihre Sätze immer wieder ins Stocken. Die Zeichnerin Coco wirft die naheliegende Frage auf, die viele Überlebende eines Unglücks bis in ihre Träume hinein quält: warum sie – und nicht ich? Andere Beteiligte wie der Anwalt Richard Malka erzählen Anekdoten aus ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Bernard Verlhac, bekannt unter seinem Künstlerpseudonym Tignous, Jean Cabut (Cabut) und Philippe Honoré. Zwischen diesen beiden Positionen bewegt sich der Film von Daniel Leconte und seinem Sohn Emmanuel, der ein Jahr nach den Anschlägen auf das Redaktionsbüro des Satiremagazins in die Kinos kommt: »Je suis Charlie« ist eine Art offene Selbsttherapie und gleichzeitig Hommage an eine Gruppe von Journalisten, Zeichnern und Spaßvögeln, die ihren Glauben an die Pressefreiheit mit dem Leben bezahlten. Am Rande beleuchten die beiden Regisseure aber auch die Vorgeschichte des blutigen Anschlags, die bis ins Jahr 2007 zurückreicht, sowie die Reaktion ihrer Landsleute, in deren Anteilnahme sich zunehmend kritische Töne gegenüber der kompromisslosen Haltung des Satiremagazins mischten.

2007 standen der damalige Herausgeber Philippe Val und sein Redaktionsteam vor Gericht, weil sie mit dem Nachdruck der dänischen Mohammed-Karikaturen nach Meinung der Ankläger, der islamischen Gemeinden in Frankreich, das Ansehen des Islam beleidigt hätten. Ihren Freispruch feierten sie als Sieg der Pressefreiheit. Vier Jahre später zerstörten Brandbomben die Redaktionsräume. Vals Nachfolger Stéphane Charbonnier, kurz Charb, stand seitdem unter Polizeischutz. Über den Prozess hat Daniel Leconte 2008 den Dokumentarfilm »C’est dur d’être aimé par des cons« (It's Hard Being Loved by Jerks) gedreht. Daniel und Emmanuel Leconte benutzen in »Je suis Charlie« Auszüge aus den damaligen Interviews mit Charbonnier, Cabut und Verlhacal als Zeugnisse eines Freiheitskampfes. Vor diesem Pathos ist »Je suis Charlie« nie ganz gefeit. Man spürt, dass der Film aus einem solidarischen Affekt heraus entstanden ist. Die Nähe der Filmemacher, vor allem von Daniel Leconte, steht einer auch skeptischen Haltung gegenüber, dem selbsterklärten Märtyrertum der Herausgeber (unvergessen Charbs Polemik »Lieber stehend sterben als auf Knien leben«) im Weg. Für einen Dokumentarfilm über das demokratische Gut der Pressefreiheit mangelt es »Je suis Charlie« letztlich an der nötigen Distanz. Als Widmung an einen renitenten Haufen von Politkarikaturisten und Gonzo-Journalisten ist der Film der Lecontes aber gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge von Paris ein schönes Dokument – auch wenn man die Auffassungen der Herausgeber nicht in allen Punkten teilen muss.

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