Kritik zu Irgendwann werden wir uns alles erzählen
Emily Atef adaptiert Daniela Kriens Amour fou zwischen Wende und Wiedervereinigung als stimmungsvolle, aber nicht unproblematische Liebesgeschichte
Sommer 1990, Ostdeutschland. Die Sonne brennt, die Hitze flirrt über dem erntereifen Stroh, das auf den Feldern trocken knistert. Etwas liegt in der Luft. Ist es der Duft von Freiheit oder die dräuende Veränderung, die alles Gewohnte fortreißen wird? Die innerdeutsche Grenze ist offen, alles scheint möglich.
Die 19-jährige Maria hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter, die seit dem Mauerfall arbeitslos ist. Sie wohnt mit ihrem Freund Johannes in einem Zimmer unterm Dach auf dem Brendel-Hof seiner Eltern, die sie aufgenommen haben. Daran, dass sie bleiben wird, glaubt niemand. Ein Mädchen »wie sie« sei nichts für die Landwirtschaft. Sie werde entweder in die Großstadt, in den Westen oder gar ins Ausland weiterziehen. Jetzt, wo alle Wege offen stehen.
Dabei hat Maria gar keine Ambitionen. Sie schwänzt die Schule, verbringt die schwülen Tage unter dem Dach oder am Fluss, versinkt in den Romanen Dostojewskis und weiß nicht so recht, wohin die Reise für sie gehen soll. Die Tage ziehen dahin, und sie lässt sich ziel- und planlos treiben. Bis sie auf einem ihrer einsamen Spaziergänge Henner begegnet. Dem verschrobenen Einzelgänger vom Hof nebenan eilt ein Ruf als Frauenheld voraus. Dabei lebt er zurückgezogen von der Welt, abgeschottet durch schwere Holztore und zwei scharfe Rottweiler.
Daniela Krien, auf deren Debütroman von 2011 »Irgendwann werden wir uns alles erzählen« beruht, hat das Drehbuch gemeinsam mit Emily Atef für die Leinwand adaptiert. Mit Bildgestalter Armin Dierolf komponiert die Regisseurin stimmungsvolle Landschaftspanoramen, die dem Klischee des grauen und maroden Ostdeutschlands etwas entgegensetzen und gut auf großer Leinwand wirken. Auch die Hoffnungen und Ängste der Menschen im Jahr 1990 flicht Atef geschickt in die Handlung ein.
Ihre Spezialität aber bleiben Frauen, die leiden. »3 Tage in Quiberon« folgte der am Leben und am Ruhm verzweifelnden Romy Schneider, »Mehr denn je« schildert das selbstbestimmte Sterben der von Vicky Krieps verkörperten Protagonistin. Auch Maria, die hier von Marlene Burow mit einer gelungenen Mischung aus Naivität und Entschlossenheit verkörpert wird, ist da keine Ausnahme. Ihr Leiden ist die Liebe. Ein Blick, eine übergriffige Berührung des mehr als doppelt so alten Henner, und Marias Schoß und Herz brennen lichterloh.
Felix Kramer macht es uns leicht, diesen emotional verkrüppelten Einsiedler mit verträumt verwuseltem Haar, dem Herzen eines Dichters und den zupackend-rauen Händen eines Arbeiters interessant zu finden. Gelungen wirkt auch die Begierde, die zwischen beiden lodert. Diese unkontrollierbare Gier nach dem Körper des jeweils anderen, der einen alle Vernunft vergessen und Konsequenzen verdrängen lässt.
Als sie dieser Lust nachgeben, wird es allerdings problematisch. Obwohl einvernehmlich, bleibt besonders bei den ersten Sexszenen ein Geschmäckle. Das liegt nicht daran, dass Henners und Marias Begegnungen hart, schnell und direkt inszeniert sind, oder am großen Altersunterschied. Aber die Art, wie Henner Maria besonders zu Beginn ihrer Affäre brutal und ohne Vorspiel nimmt, kann einfach keinen Spaß machen. Marias anfängliche Neugier ist verständlich. Warum sie nach so einer Nummer mehr davon will – zumal sie sexuell nicht unerfahren ist – versteht man nicht so recht. Und man wird das unangenehme Gefühl nicht los, hier eine Männerfantasie zu beobachten. Die emotionale Wucht, mit der beide dann einander verfallen, bleibt außerdem genauso mysteriös wie Henners Vorgeschichte.
Nicht ganz überzeugend wirkt auch der innere Konflikt, in den Maria gerät. Ihr Freund Johannes (Cedric Eich) interessiert sich mehr für Fotografie als für sie, weder in der Familie noch in der Dorfgemeinschaft scheint sie stark verwurzelt. Warum also zögert sie so lange, eine Entscheidung zu treffen? Was die Figuren im Inneren bewegt, lässt sich somit schwer nachvollziehen.
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