Kritik zu Inu-Oh
Masaaki Yuasa zeichnet in seinem fuminanten Animationsfilm nach, wie in Japan vor 600 Jahren ein Popstar entstand
Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Zu den Verlierern aber zählen der missgestaltige Inu-oh, der einer angesehenen Noh-Theaterfamilie entstammt, sowie der blinde Biwa-Spieler und Mönch Tomona, verwaister Sohn eines einfachen Fischers. Deswegen erinnert sich heute niemand mehr daran, dass die beiden vor 600 Jahren in Japan die Rockmusik erfunden haben. Dies zumindest will uns Masaaki Yuasa mit seinem wahrhaft berauschenden Anime »Inu-oh« Glauben machen, der wilden Story zweier Außenseiter, die in Kyoto eine Weile für Furore sorgten, bis die Herrschenden und Kulturwächter fanden, dass es nun genug sei und sie dem unheiligen Treiben unzimperlich ein Ende setzten.
Noch ein paar Hundert Jahre, bevor sich dies alles zutrug, am Ende des 12. Jahrhunderts nämlich, stand Japan im Zeichen der großen Auseinandersetzung zwischen den Sippen der Minamoto und der Heike, die beide nach der Alleinherrschaft strebten. In der legendären Seeschlacht von Dan-no-ura im März 1185 gingen die Heike schließlich spektakulär unter; der Legende nach verschwand bei dieser Gelegenheit auch eine der drei japanischen Throninsignien, das Schwert Kusanagi, in der Tiefe des Meeres; verbürgt jedenfalls ist, dass unzählige Heike-Krieger Seppuku, also Selbstmord, begingen, um der Schande zu entgehen.
Hier nun setzt »Inu-oh« an, dessen von Akiko Nogi verantwortetes Drehbuch auf Hideo Furukawas Roman »The Tale of the Heike: The Inu-Oh Chapters« beruht, der wiederum eine Adaption des klassischen mittelalterlichen Epos »Heike monogatari« für die Moderne darstellt. Die Verästelungen dieses Stoffkonglomerats zu verfolgen, würde den gegebenen Rahmen sprengen. Es sei an dieser Stelle jedoch wenigstens darauf hingewiesen, dass es die ruhelosen Geister der unversöhnten Heike sind, die Inu-oh ihre Geschichten erzählen, die dieser zu Liedern macht, zu denen Tomona auf seiner Biwa sodann die gewaltigen Riffs setzt. Protestsongs, sozusagen. Gegenkultur und aufmüpfige Jugend und die Vorstellung von einem möglichen anderen Verlauf der Geschichte. Alles, was ein noch ungefestigter Shogun genau nicht brauchen kann.
Ohne mit der Wimper zu zucken, inszeniert Masaaki Yuasa diese streitlustige Anmerkung zur Phase der japanischen Reichskonsolidierung mit großer Geste und mächtigem Pathos als Rockoper, die einem dynamisch in den Körper fährt. Und das nicht nur, wenn während des entscheidenden Konzertes am kaiserlichen Hof Anklänge an Queens »Bohemian Rhapsody« hörbar werden. Weil das aber alles noch nicht genug ist und hier zudem einer der innovativsten Anime-Regisseure am Werke ist, bekommt man es darüber hinaus noch mit profunden Themen wie künstlerischer Integrität und kreativem Ausverkauf, Inspiration und was man für sie zu tun bereit ist, Deutungshoheit, Tradition und Künstler-Konkurrenz zu tun. Nichts davon wird auf die leichte Schulter genommen, nichts davon kommt bleischwer daher – alles vermittelt sich vielmehr mit ebenso viel Dringlichkeit wie Begeisterung. Die Eleganz der Umsetzung ist nicht zu vergessen, von der Klugheit ganz zu schweigen.
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