Kritik zu I Am Not Your Negro

© Salzgeber

2016
Original-Titel: 
I Am Not Your Negro
Filmstart in Deutschland: 
30.03.2017
L: 
93 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Raoul Peck verleiht mit seinem filmischen Essay dem vor 30 Jahre verstorbenen James Baldwin auf einzigartige Weise erneut eine Stimme

Bewertung: 5
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Worte wie »obszön« und »grotesk« sind nicht die ersten, die dem durchschnittlichen weißen Amerikaner oder Europäer zu Doris Day-Filmen einfallen würden. Aber natürlich ist das eine Frage der Perspektive und diese, das macht der Film »I Am Not Your Negro« mit fast Unwohlsein hervorrufender Deutlichkeit klar, ist mehr von Rassismus geprägt, als man es gemeinhin wahrhaben möchte. Die vorgebliche »Unschuld« jener Doris Day-Komödien mit ihrer züchtigen Ausstattung bezeichnete der afroamerikanische Intellektuelle James Baldwin nicht nur deshalb als »grotesk«, weil sie in allen Aspekten so ungeheuer und ausschließlich »weiß« sind. Nein, ihre Obszönität, ihre Schamlosigkeit liegt darin, dass sie als Normalität ausgeben, was für die erdrückende Mehrheit der Weltbevölkerung schlicht unerreichbar ist: das Häuschen, das Auto, die Kleinfamilie, der regelmäßige Job, die Ausbildung der Kinder... Man muss es vielleicht wiederholen: Baldwin ging es dabei nicht um den mangelnden Realismus dieser Hollywoodkonstrukte, sondern um deren in voller Sichtbarkeit verborgenen ideologischen Gehalt.

Für einen Essay-Film über einen vor 30 Jahren verstorbenen Autor entwickelt­ »­I Am Not Your Negro« durch solche Analysen eine erstaunliche Wucht. Für den Filmkenner sind Baldwins Bemerkungen über das Gewaltmonopol des weißen Mannes in Gestalt von Gary Cooper oder darüber, dass mancher Western den Zuschauer zum zustimmenden Zeugen eines Genozids macht, echte Augenöffner. Auch Stanley Kramers »Flucht in Ketten«, in dem Sidney Poitiers Noah sich am Ende für Tony Curtis' 

Joker opfert, was der Film als Versöhnung der Rassen feiert, wird man nie wieder ganz so unschuldig sehen können.

In der dokumentarischen Form gelingt dem haitianischen Regisseur Raoul Peck nämlich genau das, was ihm mit »Der junge Karl Marx« nicht wirklich glücken wollte: Er verschafft einem kritischen Denken aus anderen Zeiten eine neue Geltung. Statt eines Durchgangs durch Leben und Werk adaptiert Peck ein unvollendetes Essay von Baldwin, in dem dieser über seine Freunde, die Civil-Rights-Aktivisten Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King schreiben wollte. Wobei Peck die üblichen Grundelemente von Archivmaterial, Zeitzeugeninterview und Textzitaten mit einer solchen Lust am Ein- und Widerspruch montiert, dass er viel mehr bewirkt als nur die klugen Sätze zu illustrieren. Tatsächlich lässt er etwas von Baldwins Esprit lebendig werden. So vergisst man bald, dass hier Samuel L. Jackson (in der deutschen Fassung ist es Samy Deluxe) aus dem Off spricht, er wird zum Bauchredner für Baldwin, dessen markantes Gesicht vielleicht weniger telegen, dessen scharfes Denken in seiner Ungefälligkeit und Unversöhnlichkeit aber umso einprägsamer war.

Dabei ist es banal, von der Aktualität Baldwins zu sprechen. »Die Geschichte ist nicht das Vergangene, sie ist die Gegenwart«, heißt es einmal treffend im Text. Mit Bildern von Vorfällen, die sich lange nach Baldwins Tod ereignet haben, belegt Peck die tragische Zeitlosigkeit der Baldwinschen Analysen. Und er arbeitet mit fast verletzender Schärfe eine seiner Hauptthesen heraus, dass nämlich der Rassismus den USA mitsamt seiner Hässlichkeit eingeschrieben ist: »The story of the Negro in America is the story of America. It is not a pretty story.«

... Interview mit Regisseur Raoul Peck

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Filmkritik von Frau Schweizerhof mag ich eigentlich gar nicht widersprechen; Baldwin's Sicht zu u.a. John-Wayne-Western, Doris-Day-Komödien und speziell zu "Flucht in Ketten" sind wirklich überraschende 'Augenöffner', wie Fr. Schweizerhof bereits geschrieben hat. Aber insgesamt hat mich der Film einfach nicht gepackt: Ob's am etwas abgehobenen Text lag? Oder doch daran, dass die vielen Filmschnipsel und Archivbilder zu sehr vom gesprochenen Text abgelenkt haben? Die für mich interessansten Stellen des Films waren eben die Interviews, die ungestört von anderen Einblendungen gezeigt wurden.

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