Kritik zu Horse Money
Für den vierten Teil seiner Filmserie zur Geschichte der kapverdischen Einwanderer Portugals wurde Pedro Costa letztes Jahr mit dem Regiepreis in Locarno ausgezeichnet
Vier lange, zwischen Dokument und Fiktion oszillierende Filme hat Pedro Costa in den letzten zwanzig Jahren im Lissaboner Armenviertel Fontainhas mit dortigen, meist von den Kapverden eingewanderten Bewohnern gedreht. Jetzt kommt der vielfach ausgezeichnete jüngste Film der Serie regulär in deutsche Kinos. Es ist auch der für das Verständnis schwierigste, nicht nur weil überall Motive und Figuren aus den früheren Arbeiten und der restlichen Kulturgeschichte durch den Film schwirren. Sondern auch weil Costa in der Weiterentwicklung seiner eigensinnigen Filmsprache diesmal konsequent alle Zeit- und Realitätsschichten in ein homogenes erzählerisches Kontinuum auflöst.
Leicht konsumierbar ist das nicht, ästhetisch faszinierend schon wegen der ausgefeilten Licht- und Tongestaltung sofort. Im Mittelpunkt steht wieder jener Ventura, der schon 2006 in dem bisher letzten Film der Serie (»Juventude em marcha/Colossal Youth«) eine zentrale Rolle spielte als Weltenwanderer zwischen dem mittlerweile abgerissenen Armenviertel und den Sozialbauten, wohin die Bewohner umgesiedelt wurden. Jetzt ist er sichtbar gealtert und wird von den Gespenstern einer Vergangenheit gejagt, die ihm neben körperlichen und seelischen Verletzungen auch ein permanentes Händezittern eingetragen hat. Es sind Spuren von Arbeitsausbeutung und ärmlichen Lebensbedingungen, wie es im Film einmal von einem (fast Brecht'schen) Chor von ähnlich Geschundenen an Venturas Krankenbett benannt wird. Aber auch Spuren der gewalttätigen portugiesischen Kolonialgeschichte, die das Leben der Kapverdier über Jahrhunderte dominiert hat.
Dass diese vom Zuschauer getrost in andere Weltregionen extrapoliert werden darf, darauf deutet die stumme Serie historischer Fotografien aus New Yorker Elendsvierteln des 19. Jahrhunderts zu Beginn des Films hin. Dann bewegt sich die Kamera in einem der seltenen Schwenks von einem gemalten Porträt des jungen Ventura zu einem alten Mann, der in ein düsteres Gewölbe mit langen Gängen hinabsteigt: Dunkle Verbindungsstollen, die, wie andere Orte im Film, als reine Bedeutungsräume realistischer Referenz enthoben sind und gemeinsam mit der freien Bewegung im Kontinuum der Zeit den traumhaften Charakter des Films begründen.
Es sind Träume, die in Traumata gegründet sind. Und wenn Costas Held in einer langen Szene in einem Lift gemeinsam mit einem unbekannten Soldaten von Stimmen der Erinnerung bedrängt wird, ist das eine therapeutische Situation für die Figur wie für den sich selbst spielenden Darsteller. Und für das Kollektiv, wie eine von einem Klagelied begleitete zweite Fotostrecke aus der Gegenwart kolonialer Einwanderer erzählt: Polyphonie, mit der Costas sein 1997 mit Ossos begründetes Projekt noch einmal radikal verdichtet, während die akribisch recherchierten Lebensgeschichten der Figuren direkt an die quasidokumentarischen Wurzeln der Fontainhas-Filme anknüpfen.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns