Kritik zu Home
Das Debüt-Werk, das auch in der Filmgeschichte von Jacques Tati bis Pasolini applaudierende Fans gefunden hätte, wurde unter anderem mit dem Schweizer Filmpreis Quartz 2009 ausgezeichnet
Wenn es nur noch ein bisschen schneller ginge, dieses klappernde Bonanza-Fahrrad, dann müsste die Schwerkraft eigentlich zu überwinden sein. Dann müsste der Himmel selbst den wackeren kleinen Radler hochsaugen. Und aus der leeren Autobahn, über die der Junge flitzt, würde eine Startbahn. Aus der Gegend drumherum ein abstrakter Fleck und aus der fernen Stadt ein Bausatz aus variablen Klötzchen. Doch einen Übersicht schaffenden Blick von oben gibt es nur selten in diesem wunderbaren Erstling der Schweizer Regisseurin Ursula Meier.
Erst einmal sind wir mitten in diesem absonderlichen Glück an einer unbefahrenen Autobahnteilstrecke. Ganz und gar bei diesem etwas schäbigen Haus, das so vereinzelt steht wie im Kino sonst nur Psycho-Immobilien. Wir werden buchstäblich ausgesetzt zwischen ein paar zufrieden vor sich hinwerkelnden Menschen. Eine durchgesessene Sofagarnitur, Liegestühle und anderes Spielzeug stehen und liegen verteilt über eine Fahrbahn, die nicht fertig wurde und nur zum Spass von der Familie gelegentlich selbst befahren wird. Der Sohn rast entlang der Leitplanke rauf und runter. Die älteste Tochter legt sich im Bikini in die Sonne und dreht ihren Ghettoblaster auf. Ihre vernünftigere Schwester macht Hausaufgaben. Die Mutter (Isabelle Huppert) hängt Wäsche auf oder putzt das Gemüse aus dem Gärtchen unterm Küchenfenster. Es gibt eine Tischtennisplatte, die Bauruine eines Swimmingpools, den der Vater (Olivier Gourmet) in diesen Sommerferien endlich fertigstellen will. Ein eigenwilliges Anwesen, so perfekt auf seine Weise und so provisorisch zugleich. Seine Anarchie liegt in seinem demonstrativen Sichselbstgenügen, in seiner Gleichgültigkeit gegenüber jeder gesellschaftlichen Anbindung. Seine innere Struktur durchzieht jedoch eine rührende Kleinbürgerlichkeit, die an das drappierte Glück der fünfziger Jahre erinnert.
Mutter Marthe ist selig hier, sie will nicht zurück in die Stadt. Was auch immer da vorgefallen sein mag. Und wenn Vater Michel, der Handwerker, in Cowboystiefeln, mit gegelten Haaren, zu Rockabilly-Klängen summend von der Arbeit zu seiner Familie zurückkehrt und der zarten Frau seine mächtigen Arme um die Taille legt, ist klar, dass das Paar sich seine Romantik bewahrt hat. Und dass nur Ignoranten in diesem unordentlichen Leben nichts anderes als Prolltum erkennen wollen, das sich womöglich aus Scham und nicht aus Stolz dem Rest der Zivilsation entzieht.
Wenn »Home« mit seinen Protagonisten nachts in diese monströse Stille an diesem verqueren, verzauberten Ort lauscht, begreift man, welche Idylle sich hier abspielt. Aber auch, mit welch manischer Unbedingtheit sich seine Bewohner zunehmend in ihrem Reich einbunkern. Eines Tages rollen die ersten Baufahrzeuge an. Irgendwann kommen die Laster und Pkws, erst einzeln, dann in den Blechschlangen der Ferienstaus. In diesen Momenten trifft das pathologische Ausharren der Familie in der selbst gebauten Lärmschutzdämmung auf den Stillstand postmoderner Mobilitätseuphorie. Ursula Meier ist so klug, keinen Standpunkt als Sieger nach Punkten hervortreten zu lassen.
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