Kritik zu Hirngespinster
Ein vielleicht zu schöner Titel für einen Film über eine schlimme Erfahrung: Christian Bach erzählt von einem Sohn, der die Familie zusammenhalten muss, als sein Vater an Schizophrenie erkrankt
»Ich heiße Simon Dallinger, bin 23 Jahre und lebe in einem Irrenhaus.« Das sagt sich so leicht dahin, doch tatsächlich zeigt die bürgerliche Fassade der Architektenfamilie in einer schwäbischen Kleinstadt bald Risse, die tiefer sind, als es eine natürliche, spätpubertäre Ablösungsrebellion rechtfertigt. Es fängt damit an, dass Simons Vater Hans nachts aufs Dach der Nachbarn steigt, um deren Satellitenschüssel aus der Verankerung zu rupfen. Was ein ganz normaler Nachbarschaftsstreit sein könnte, erweist sich bald als alarmierendes Zeichen, als Symptom für den neuerlichen Ausbruch einer schlummernden Krankheit, die die Familie bereits schmerzlich kennengelernt hat: Schizophrenie.
Wie Hans Weingartner mit »Das weisse Rauschen« hat sich auch Christian Bach für seinen neuen Film kein leichtes Thema gesucht. Nur indirekt verarbeitet er dabei persönliche Erfahrungen, stattdessen interpretiert er die Familiengeschichte eines Jugendfreundes. Und es geht auch um den Schleier des Schweigens, den solche Krankheitsbilder umgeben, um das Netz aus Selbstlügen, Scham, Misstrauen und Vorurteilen, in das sich Kranke, Betroffene und Beobachter verstricken.
Da ist zunächst Hans, der nicht wahrhaben will, was mit ihm los ist, der irgendwann aufhört, seine Medikamente zu nehmen, und dann schnell beginnt, seiner Familie zu entgleiten und in den Sog eines psychotischen Schubes zu geraten. Nachdem Tobias Moretti schon in »Das finstere Tal« am Rande des Wahnsinns agierte, lässt er diesen Mann mit beeindruckender Intensität zwischen volatiler Gefährlichkeit und brüchiger Verletzlichkeit oszillieren. Langsam eskaliert die Lage, von kleinen, kaum merklichen Irritationen zu massiven Entgleisungen, bis die Grenze zum Wahnsinn überschritten ist.
Die Fäden der Familie laufen in Simon (Jonas Nay) zusammen, aus dessen Perspektive der Film erzählt ist. Wenn er das Tun seines Vaters mit verstohlenen Blicken taxiert, geht es nicht nur darum, die ersten Symptome eines neuen Ausbruchs zu erkennen. Insgeheim fragt er sich längst, ob er selbst die Krankheit geerbt hat. Gleichzeitig ist er aber auch bemüht, die Familie zusammenzuhalten, die durch die Krankheit gesprengt wird, mit dem Vater, der sich immer stärker in seinen Wahnvorstellungen verstrickt, der kleinen Schwester, die er vor unberechenbaren Ausbrüchen des Vaters schützen muss, und der Mutter, die das Geld verdienen muss, während die Banken immer mehr Druck machen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für eigene Lebensplanungen und für die Liebesgeschichte, die sich zwischen ihm und der Medizinstudentin Verena anbahnt, die ein paar Monate lang ihr Praktikum in seinem Städtchen absolviert. Auch wenn der Film mit dem schönen Titel bisweilen eine Spur zu brav geraten ist, bleibt es doch eine ungeschönt wahrhaftige Auseinandersetzung mit einer unpopulären Seelenkrankheit.
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