Kritik zu Heretic

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Hugh Grant konfrontiert als »ketzerischer« Finsterling zwei mormonische Missionarinnen mit wahrhaft höllischen Ideen

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Im aktuellen Genrekino nimmt der Horrorfilm »Heretic« eine bemerkenswerte Position ein. Während Filme wie »Smile 2« und »Terrifier 3« Body-Horror und Sadismus zelebrieren, setzt das Autoren- und Regieduo Scott Beck und Bryan Woods über weitere Strecken auf latente Bedrohlichkeit und beklemmende Dialoge in einem kammerspielartigen Setting.

Im Mittelpunkt des Films stehen zwei junge Mormoninnen, Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East), die im ländlichen Amerika von Tür zu Tür gehen, um die Menschen von der Lehre ihrer Kirche zu überzeugen. Dass die beiden jungen Frauen trotz ihrer Religiosität nicht so keusch und weltfremd sind, wie man es dem Klischee nach vermuten würde, zeigt die allererste Szene, in der Schwester Paxton während einer Pause über moralische Erleuchtung in einem Pornofilm sinniert. Die Cleverness dieser Szene liegt darin, dass sie augenzwinkernd geschrieben und gespielt ist, ohne sich lustig zu machen. Schwester Paxton ist vielleicht etwas naiv, aber aufrichtig – und vor allem aufmerksam, was später noch relevant sein wird. Nicht billige Provokation ist die Absicht dieser amüsanten Szene, sondern eine Einladung zum Perspektivwechsel.

Zu einem solchen lädt auch ein älterer Herr (Hugh Grant) ein, an dessen Tür die beiden klingeln. Er lebt in einem Haus am Waldrand und bittet die Missionarinnen zu sich herein, serviert Tee und verspricht duftenden Blaubeerkuchen, den seine Frau angeblich gerade backt. Als Zuschauer weiß man natürlich sofort, dass hier etwas nicht stimmt. Auch Schwester Barnes und Schwester Paxton zögern zunächst, und gehen letztlich aus reiner Höflichkeit in die Falle – ein Thema, das man aus »Speak No Evil« kennt, das hier aber beiläufiger und feinsinniger inszeniert wird.

Mit dem Missionieren wird es allerdings nichts, denn sehr schnell zwingt der belesene Brite mit dem doppeldeutigen Namen Mr. Reed die beiden Mormoninnen zu einer Diskussion über Spiritualität, Selbstbilder, Aufrichtigkeit – und Glauben. Diese Ausgangssituation könnte auch die Basis für ein herkömmliches Drama bilden, und wenngleich Reeds steile Thesen zum Thema Religion kaum über Erstsemesterniveau hinausgehen, haben sie einen provokativ-anregenden Reiz.

Aber »Heretic« ist kein philosophisches Drama, sondern ein Horrorfilm, und durch geschickt gesetzt Kniffe verschiebt sich das Ganze, bevor die Bedrohung handfest wird: Mr. Reeds vermeintlich harmlose Fragen sind immer ein bisschen neben der Spur. Ausstattung, Lichtsetzung, Kamera und Schnitt verstärken die ungreifbar unbehagliche Atmosphäre – nicht nur wegen dieser Form von Suspense erinnert »Heretic« an Filme von Alfred Hitchcock. Denn da ist noch Hugh Grant, über dessen erste ernsthafte Schurkenrolle (nach der komödiantischen Variante in »Paddington 2«) bereits viel geschrieben wurde.

Tatsächlich versteht Grant es aufs Schönste, typische Manierismen seiner romantischen Leinwandfiguren vom Putzigen ins Psychopathische zu überführen. In einer Mischung aus Nerdigkeit und Eloquenz gestaltet er den ketzerischen Mr. Reed als Kreuzung aus Norman Bates und Hannibal Lecter – gegen Ende erweitert um eine Prise Jigsaw, was allerdings der Punkt ist, an dem der Film sich zunehmend in Widersprüchlichkeiten verheddert.

Doch so gut der gegen den Strich besetzte Hugh Grant auch ist: Die Entdeckung des Films sind Sophie Thatcher und Chloe East als ungleiche Missionarinnen. Thatcher kennt man aus der Serie »Yellowjackets«, East aus »The Fabelmans«, hier nun bilden sie Herz und Seele des Films, treiben ihn voran, kämpferisch und sensibel. Wenngleich die Dramaturgie sich gegen Ende den blutigeren Horrorfilmkonventionen beugt, bleibt »Heretic« vor allem ein starker Schauspielerfilm, ein Drei-Personen-Stück, das Spannung durch Blicke und Ambivalenzen erzeugt. Und wenn man als Zuschauer zusätzlich noch kurz über das eigene Verhältnis zu Religion und Glauben nachdenkt – umso besser.

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