Kritik zu Happy End

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Familienaufstellung: Der neue Film von Michael Haneke erzählt mit vielen Bezügen aufs eigene Werk von einer großbürgerlichen Bauunternehmerfamilie, deren Untergang so feststeht, wie er gleichzeitig ­niemanden interessiert

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Näher an einer Farce war Michael Haneke mit seinen Dramen von Zerfall und Vergletscherung des europäischen Bürgertums nie als nun bei »Happy End«. Das soll nicht heißen, dass man diesen Film unbedingt als Farce verstehen muss, dazu sind die Personen viel zu komplex und intim gezeichnet, ihre Darsteller viel zu menschennah. Vielmehr geht es da­rum, die Farce mitzudenken, die auf dem Grund der strengen, oft an den transzendentalen Stil von Robert Bresson oder die unerbittliche Gnadensucht von Johann Sebastian Bach erinnernden Exerzitien dieses Regisseurs lauert. Wie bei Franz Kafka, dessen »Schloss« Haneke eine sehr treue Adaption widmete, könnte man angesichts des dargestellten Grauens auch in Gelächter ausbrechen. Wenn man sich trauen würde. Hier jedenfalls gibt es Szenen, in denen ein kosmisches Lachen über die Menschen unserer Zeit widerhallt: das Unglück, das (vielleicht) ausgelöst wird, weil jemand zur Unzeit auf ein Dixi-Klo geht, das Meerschwein, das mit Antidepressiva gefüttert wird, eine Familie, in der der Selbstmordversuch zum bevorzugten Kommunikationsmittel wird, der todessehnsüchtige alte Mann, der mit seinem Rollstuhl nur bis zur Hüfte in den Atlantik gelangt...

Der Schauplatz ist Calais, und bei einem kurzen Besuch am Strand erkennen wir, was das bedeutet, an den schief im Sand liegenden unzerstörbaren Bunkern aus dem Zweiten Weltkrieg oder an der Gegenwart von afrikanischen Flüchtlingen zwischen Ausbeutung und Vogelfreiheit. Die Unternehmerdynastie Laurent (ein Bauunternehmen in der Zeit des Strukturwandels) kämpft ums Überleben von Firma und Familie. Anne (Isabelle Huppert), die »Patriarchin«, hält sie mit Selbstdisziplin und Verhandlungstaktik am Leben. Fragt sich nur, für wen. Der entmachtete Vater, Georges (Jean-Louis Trintignant), ist nur noch auf der Suche nach einer geeigneten Art, aus dem Leben zu scheiden, der Sohn Pierre (Franz Rogowski) für die ihm zugedachte Rolle gänzlich ungeeignet, der Bruder Thomas (Mathieu Kassovitz), der mit seiner Frau (Laura Verlinden) hier lebt, mit einem eigenen Lebensentwurf und seinen Brüchen mehr als beschäftigt, Annes englischer Freund (Toby Jones) bleibt als Rechtsanwalt auf Distanz. Noch residiert man im Stil der großen Familien: in der großzügigen Villa, mit nordafrikanischem Dienstpersonal und einem Rest großbürgerlicher Contenance. Doch die Welt der Laurents ist dem Untergang geweiht, und ihr Vergehen ist insofern unerfreulicher als das der Buddenbrooks zum Beispiel, als es offensichtlich den Rest der Welt kein bisschen schert. Mit ihnen gehen vermutlich der alte, dynastische Kapitalismus, die bürgerliche Gesellschaft, Europa und natürlich das Abendland zugrunde. Vielleicht haben sie aber auch bloß den Anschluss verpasst in ihrer destruktiven Abhängigkeit voneinander.

In dieses Un-Idyll kommt die zwölfjährige Eve (Fantine Harduin), Tochter aus Thomas' erster Ehe, nach einem Selbstmordversuch der Mutter (die mit dem Smartphone aufgenommene Szene vor dem Titel lässt allerdings eine andere Deutung zu). Natürlich geben sich alle Mühe, wie man so sagt, die einen mehr, die anderen weniger, ein neues Mitglied in die Familie aufzunehmen, deren Zerfall indes eher beschleunigt als aufgehalten wird. Was bleibt ist nur die Unfähigkeit, über das eigene Unglück zu sprechen. Es ist das wiederkehrende Motiv dieses Films: Ansätze, miteinander zu reden, die in Verstummen oder Verzweiflung enden. In einer besonders bewegenden Szene sieht man Eve in Tränen ausbrechen. Als der Vater sie drängt, ihm ihr Leid zu klagen, strafft sie sich. Es ist schon vorbei. Verhärtung zieht über ihr Gesicht. Sie wird ein Mitglied der Familie, indem sie alles Familiäre überwindet. Dies ist der Skandal des »Happy End«: Das Mädchen wird nicht nur nicht zur Erlöserin, es ist wohl auch ihr selbst nicht mehr zu helfen. Schon hat sie gelernt, sich für das Zeigen von Gefühlen zu entschuldigen.

Das liegt nicht nur an den ökonomischen und emotionalen Gegebenheiten; von Anfang an sehen wir die Figuren auch als Gefangene ihrer Räume. In jeder Einstellung erforscht Haneke die Dialektik zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Und natürlich werden bei ihm die nun nicht mehr so neuen Medien – der Smartphone-Film, die SMS-Nachrichten (hier überdies als Medium einer erotischen SM-Beziehung dienend), die YouTube-Collage – als Mittel der Erzählung und zugleich als Bilder der Entfremdung eingesetzt. Keineswegs in denunziatorischer Absicht: Wenn die Menschen hier über ihre digitalen Maschinen kommunizieren, sind sie immerhin noch ehrlicher, als wenn sie körperlich beieinander sind.

Thomas hat ein heimliches Verhältnis mit einer Musikerin, was neben einem Karaoke-/Breakdance-Ausbruch von Pierre zur einzigen, aber ausgesprochen dramatischen Musikszene des Films führt: gescheiterte Befreiungsversuche auch dies. Wie bei der »Klavierspielerin« ist Musik hier ganz und gar kein Trostpflaster, schon eher das Aufbrechen einer Wunde.

»Happy End« ist kein Film der katastrophischen Engführung, wie wir es von diesem Regisseur gewöhnt sind, sondern eher einer der Auffächerung. Viele Geschichten stecken in dieser Familienaufstellung, einige davon bleiben nur angedeutet, andere sind im Haneke-Kosmos schon erzählt (explizit etwa weist Georges darauf hin, dass er seine leidende Frau erstickt hat, und in ihrem Gebrauch der alltagstechnischen Bildermaschinen erinnert »Eve« an »Benny's Video«), wieder andere könnten Stoff für neue Erzählungen werden. Auch in der Binnenstruktur gibt es immer wieder Verweise, Einstellungen, die sich erst später und in anderem Zusammenhang erklären, Andeutungen und Assoziationen. Man könnte auch »Spiel« dazu sagen.

All das – und natürlich der ungewohnte Raum, den die wie immer traumhafte Beziehung zwischen Regie und Schauspiel gewährt – macht, dass »Happy End« ein Film von einer überraschenden Leichtigkeit ist. Ein wenig wirkt dieser Film, als sei er zugleich ein Abschluss von etwas und ein Neuanfang. Ein Haneke-Film, der einem beim Zuschauen Freiheiten schenkt. Donnerwetter.

Stream (arte bis 26.5.20)

Meinung zum Thema

Kommentare

sehr schwere kost , nur für besonders inteliegente zuschauer , macht einen nachdenklich . wenn du intelektuell auf der hohe bist dann schau dir diesen film an , sonnst las es lieber

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