Kritik zu Glück

© Constantin

Doris Dörrie verfilmte mit der italienischen Schauspielerin Alba Rohrwacher eine Kurzgeschichte aus Ferdinand von Schirachs Bestseller »Verbrechen«

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Die Berliner Prostituierte Irina, ein illegaler Flüchtling, verliebt sich in den obdachlosen Punk Kalle und zieht mit ihm zusammen. Ihr Liebesnest ist zugleich ihr Arbeitsplatz. Als Kalle eines Tages nach Hause kommt, liegt Irinas fettleibiger Freier tot auf dem Boden. Was tun?

Mord aus den guten alten materiellen Beweggründen ist im Krimi außer Mode gekommen. Wie im »Millenium«-Megaseller mit seinen Psychopathen geht es auch in »Verbrechen «, dem Bestseller von Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach, selten um die Penunze und oft um schräge Beziehungstaten im Kettensägenmassaker- Stil. In seiner Kurzgeschichte »Glück« entpuppt sich das Verbrechen gar als blutiges Missverständnis. Vermutlich ist der Krimi-Boom darin begründet, dass in Krimiromanen realistischer von »ganz unten« und von alltäglichen Verwerfungen erzählt wird als es in den Romanen ehemaliger Germanistik-Studenten der Fall ist. So steht Irina stellvertretend für das Schicksal traumatisierter Flüchtlinge aus dem Balkan, die in westlichen Metropolen zu überleben versuchen; die Splatter-Momente dienen als strukturierende Pointe und zusätzlicher Scharfmacher.

Schirachs großartig lakonische Kurzgeschichte allerdings kommt mit so wenig Information aus, dass sie in der Verfilmung zur Projektionsfläche gefühliger Fantasien gerät. Als sei Irinas Fallhöhe durch den Mord an ihren Eltern, ihrer Vergewaltigung durch die Mörder und die Scheußlichkeit ihrer sexuellen Dienstleistungen nicht schockierend genug, wird ihre bäuerlich-osteuropäische Vergangenheit zusätzlich in güldenen Farben ausgemalt. Hinterrücks unterminiert Drehbuchautorin Dörrie ihre Ken-Loach-hafte Inszenierung zweier Gestrandeter und ihrer prekären Existenz durch eine verzopfte Sozialromantik mit Herden von Unschuldslämmern. Die FSK-Freigabe ab 16 sollte man dennoch ernst nehmen.

Die Stehauffrau im Zentrum erinnert an Dörries Erfolgsfilm Die Friseuse. Mit dem italienischen Arthouse-Star Alba Rohrwacher hat sie eine wunderbare Hauptdarstellerin ausgewählt. Schon weil Rohrwacher ungemein apart ist, sieht man Irina gerne dabei zu, wie sie sich eine neue bürgerliche Existenz zusammenzuzimmern versucht. Doch der Charakter dieser rehäugigen mater dolorosa ist so eindimensional engelhaft, dass ihr tatkräftiger Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Elends herauszuziehen, konstruiert erscheint. Auch die Paarbildung, bei der sich Irina ihren kleinen Punk zum Idealmann ummodelt, vollzieht sich ohne Komik und ohne Brüche, obwohl an Aha-Momenten und makabren Situationen kein Mangel herrscht. Kalle (Vinzenz Kiefer) ist ein eher snobistischer Bettler, der selbst seinen Hund vegetarisch ernährt und auf seine sorgfältig gestylten Haarsträhnen achtet. Im Vergleich mit Irinas Zähne zusammenbeißen und Beine breit machen erscheint das Leben dieses Trotzkopfs als eine Karikatur echter Armut. Dies wird aber ebenso wenig thematisiert wie die leicht abgründigen Mutter-Kind-Facetten dieser Liebesbeziehung. Andererseits schreckt die Regisseurin ja auch nicht davor zurück, Irina im pseudonaiven Stil von Bäume umstrickenden Avantgarde-Hobbykünstlerinnen ihr kleines Glück in einem niedlichen Stickbild verewigen zu lassen. Matthias Brandt schließlich gibt den bedeutungsschwanger aus dem Off murmelnden Erzähler und Anwalt, der am Ende als »deus ex machina«, als gottgütiger Problemlöser auftritt.

Oliver Nägele als Stammfreier, dessen bräsige Harmlosigkeit sich mit erschütternder Ignoranz paart, beweist dagegen Mut zur Hässlichkeit. Wenn der massige Politiker über die Bürde seines Amtes klagt und sich dann von dem jungen Ding, dessen Schicksal er nicht so genau wissen will, befriedigen lässt, gelingen Dörrie stimmige Ekelszenen des Gewerbes. Mag Prostitution so alt wie die Menschheit sein, so bleibt sie dennoch ein Skandal.

In diesem Wechselbad aus anrührenden und betulichen Momenten verpufft leider nahezu geräuschlos die Ironie, die sich auf dem blutigen Weg zum Happy End eigentlich zwingend einstellen müsste. Und damit auch die Botschaft von unserer Wurstler-Existenz als einem manchmal schwarzhumorigen Witz.

 

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