Kritik zu Giulias Verschwinden
Das Altern als Episodenfilm: Der Schweizer Regisseur Christoph Schaub hat mit namhaftem Ensemble ein Drehbuch von Martin Suter realisiert, das dieser eigentlich für den 2006 verstorbenen Daniel Schmid geschrieben hatte
Stefan und Lorenz machen sich in ihrer gediegenen Wohnung mit den langbeziehungsüblichen Gereiztheiten zum Aufbruch zu einer Festlichkeit bereit. Valentin und Lena werden beim spontanen Liebesspiel von einem Wadenkrampf gestoppt. Thomas muss sich von einem Fahrradboten als »altes Arschloch« beschimpfen lassen. Die kecke Leonie provoziert bei der Feier zu ihrem 80. Geburtstag im Altersheim nicht nur ihre Tochter mit zielsicheren Gehässigkeiten. Und die Teenager Jessica und Fatima stehlen ein Geschenk für einen von beiden umschwärmten Kerl.
Fünf kleine Geschichten, die im Laufe des Films gemächlich zu einem Plot gefügt werden. Und dann ist da natürlich noch Giulia (Corinna Harfouch), die ausgerechnet auf der Busanreise zu ihrem Fünfzigsten von einem Anfall akuter Altersmelancholie attackiert wird, nachdem sie erst von ihrer betagten Sitznachbarin auf die Unsichtbarkeit der Alten hingewiesen wird und kurz darauf vergeblich das eigene Spiegelbild in der Busfensterscheibe sucht: Es ist verschwunden.
Etwa fünfzehn Minuten dauert die Introduktion von »Giulias Verschwinden«, dann entflieht die Titelfigur, die es nach 50 Lebensjahren eigentlich besser wissen müsste, dem Busgedränge ausgerechnet in die Welt schicker Modeläden, die erst mal nur weitere Frustration bereithält. Und anderswo in der ungenannten Stadt versammelt sich an einem edel gedeckten Restauranttisch die Gesellschaft, die zu ihren Ehren zusammengekommen ist. Doch während sich die Fiftysomethings das Warten mit aggressiven Wortwechseln über das Leben im reifen Alter vertreiben, lässt Giulia sich durch die etwas billigen Komplimente eines charmierenden Herrn (Bruno Ganz als Hanseat) in eine kuschelige Bar entführen und taucht erst zu vorgerückter Stunde im Kreise der Freunde auf.
Hier wie dort wird dabei themenzentriert über das Leben mit zunehmenden Jahreszahlen gesprochen. Im Restaurant stehen Verdauungsprobleme und andere Zipperlein, Schönheits-OPs und natürlich auch das nahende Lebensende selbst auf dem Themenplan, boshaft angestachelt durch die ungeladen auftauchende Alessia (Sunnyi Melles in einer exaltierten Paraderolle). Bei Giulia und ihrem Charmeur geht es der intimen Situation angemessen etwas getragener und bekenntnisselig zu. Über das Abhaken der üblichen Klischees zum Thema kommt das ganze Geplänkel allerdings nicht hinaus, auch die Figuren bleiben trotz des routinierten Darstellerensembles flach, weil ihnen – bis auf Melles – komödiantischer Übermut ebenso abgeht wie solide soziale Grundierung. Inhaltlich bewegt sich der Film trotz einer über weite Teile fernsehmäßig beschleunigten Schnittfrequenz von etwa 40 Cuts pro Minute eher im Schneckentempo. Und das Thema Altern ist ja trotz seiner biografischen Gewichtigkeit nicht schon von Natur aus abendfüllend. Außerdem ist es ziemlich deprimierend, wenn sich das Lebensgefühl einer Frau in den besten Jahren wesentlich über die schmeichelnden Besserwissereien eines älteren Herrn definiert.
Kommentare
Giulias Verschwinden
Aaaah, eine kritische Kritik lese ich hier oben. Vielen Dank! Sehr gut. - Ich bin nicht allein. Ich bin sogar kritischer und wohl verärgerter:
Ich fand es einen unerträglichen Film. Schon nach max. 10 min hatte ich das Gefühl, ich ertrage diesen Film nicht. In vermeintlicher Dichte - ein Bus voller Menschen - werden Geschichten geöffnet, zwei Mädchen, eine Alte, eine Mittelalte, und man weiß gar nicht, was das alles soll. Fahrgäste und Blicke und Blicke und nochmal Blicke und Vielsagenwollen - was soll das. So ein Ärger.
Kameraschwenks schon hier .... zum Schwindligwerden.
Trotz guter Schauspieler (Ganz! Melles! Herberger u.a.) habe ich mich durch diesen Film - mit Sprüngen - durchgequält.
Obwohl ich kammerspielartige Filme sehr mag und mich auf den Film FREUTE. Gerade wegen Bruno Ganz.
Nun dieser FRUST.
Diese holzschnittartigen Figuren. Ja, sie bleiben FLACH. Bei aller Geschwätzigkeit und in-die-Gegend-Guckens.
Dieses Panoptikum im Altersheim - völlig unrealistisch. Die Querulantin, die nicht alt werden mag. Wie langweilig und peinlich. Die Figuren am Tisch, alle so aufgemacht als Originale. Dann aber nur Statisten. Wie unrealistisch. Ich mag keine unrealistischen Filme, die aber vorgeben, aus diesem unserem Alltag zu kommen. Unrealistisch auch etliche Sequenzen und Gesprächssituationen am Tisch.
Breitgetretenes Thema (DAS ALTER!! Jungsein!) voller üblicher, 100x gehörter Statements. ("Ich will nicht mehr 20 sein... Wenn ich darüber nachdenke, wie viele Komplexe ich damals hatte!" z.B.) Gähn. Der übliche Schmarrn wird ausgetauscht. Statt etwas länger auszuloten muss die Kamera wieder schwenken auf den nächsten, der mimisch irgendwie toll guckt oder was sagt. Oder schmunzelt.
Dann wird derart viel getrunken ohne Ende, ohne dass man überhaupt den Leuten mehr als ein kleines bisschen anmerkt.
(Überhaupt: Es gibt doch kaum einen Film mehr, wo nicht DAUERND WEIN getrunken wird.)
Mich störte die Geschichte mit den beiden jungen Mädchen - was hat das in dem Film zu suchen? Es passte nicht. Was will uns der Mist sagen? Und interessiert uns wirklich, wie die zerstrittenen Eltern reagieren?
Und dann, nochmal gesagt, die Kamera. Dauernd dieses Gewackel. Schnitte hier, Schwenks dorthin. Selbst bei diesem Film. Immer diese vielsagenden Blicke, dann cut. Wieder ein Satz, Kamerawechsel. Cut. Wie grauenvoll. Ich mag eine ruhige Kamera und Sätze, mehr als einen, die gesagt werden dürfen, ohne dass ich gleich 2 Gesichter, die darauf reagieren, sehen will.
Den Suter finde ich als Autor gut. Aber was hier uns aufgetischt wird: Danke, nein. Hätte mich vielleicht vor 20 Jahren erreicht - aber all diese Themen, ich (um die 50) kann sie nicht mehr hören.
Eine einzige winzige Szene in einer Szene gefällt mir sehr gut: Wo alle ihre Brillen rausziehen, als sie die Speisekarte in die Hand nehmen. Nur: Der Film ist doch keine Komödie? Es passt das eine nicht zum anderen.
Und, ja, genau. Dass sich diese selbstbewusste Frau an diesem Abend, wo sie gerade mal 50 wird (bei 65 hätt ich's noch verstanden) so verunsichern lässt?!
Ach, ich hör jetzt mal auf, mich aufzuregen...
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