Kritik zu Gestrandet
Die Regisseurin Lisei Caspers verfolgte über fast zwei Jahre das Schicksal einer Gruppe eritreischer Flüchtlinge in der Nähe ihres ostfriesischen Heimatorts
Das Aufeinanderprallen von Welten ist das inhaltliche sowie visuelle Motiv von »Gestrandet«, einem Dokumentarfilm, der die Konfrontation Geflüchteter mit dem deutschen Alltagsleben in den Fokus rückt. Die Regisseurin Lisei Caspers hat eine Gruppe von eritreischen Flüchtlingen über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren begleitet und dokumentiert deren Leben in dem kleinen Dorf Strackholt in Ostfriesland, geprägt vom ewigen Warten auf Rückmeldung vom Bundesamt für Asyl. Nicht unähnlich dem diesjährigen Berlinale-Gewinner »Fuocoammare« nähert sich Caspers der Problematik durch die Gegenüberstellung europäischer Profanität mit den traumatisierten Perspektiven der Neuankömmlinge. Die Filmemacherin betont, nicht ohne Humor, die gemächliche Provinzialität ihres Schauplatzes und lässt gewisse schrullige Rituale der Eingeborenen aus dem Blickwinkel der Eritreer geradezu exotisch wirken.
So gelingt ihr eine spannende Umkehrung, die schließlich auch unabdingbar für den empathischen Umgang mit Flüchtlingen ist: Den Zuschauern wird deutlich, wie unverständlich viele der Dinge für die fünf jungen Männer aus Afrika sein müssen, die sich vor der Kamera abspielen. Ganz zu Beginn des Films nehmen Ali, Mohammed, Hassan, Osman und Aman etwa an einer Partie Boßeln teil, einer regionalen Ballsportart. Mit freundlichem, aber irritiertem Grinsen werfen sie den Ball über den Asphalt, höchstwahrscheinlich ohne den genauen Rahmen des Ganzen zu begreifen.
Caspers Film beginnt durchaus heiter; die pragmatische Art der ostfriesischen Helfer sorgt für einige Schmunzler, die Bereitschaft der Eritreer, sich am Gemeinschaftsleben zu beteiligen, spricht für ein Beispiel gelungenen Zusammenlebens. Mehr und mehr aber erkundet »Gestrandet« die Hintergründe seiner Protagonisten und gibt ihren traumatischen Erlebnissen Raum. Visuell bricht sich diese Vorgeschichte nur in kurzen Fernsehberichten Bahn, die sich die fünf Betroffenen ansehen, sowie in den Erinnerungsfotos auf ihren Smartphones.
Nach und nach wird auch die Frustration über die ewige Ungewissheit spürbar, ob ein geregeltes Leben in der vermeintlichen neuen Heimat möglich sein wird. Die Provinz erscheint nun graduell nicht mehr ganz so harmonisch, sondern eher beklemmend und statisch. Parallel lässt Caspers auch einige weniger optimistische Bürger zu Wort kommen, die mit eindeutigen sprachlichen Tendenzen ihre Skepsis gegenüber den Fremden artikulieren. »Wir dachten zuerst, die wollen uns ausrauben«, gesteht die Kassiererin im Supermarkt. Dennoch: In anderen Landstrichen Deutschlands wäre eine solche Dokumentation wohl deutlich unangenehmer ausgefallen.
Auch die Helfer verliert Caspers nicht aus den Augen. Sie schafft es, deren Geschichten trotz der kurzen Laufzeit des Films gekonnt mit denen der Flüchtlinge zu verweben. All ihr Engagement könnte sich binnen weniger Tage als vollkommen umsonst erweisen – dementsprechend bitter fallen die an die Regisseurin gewandten Kommentare zusehends aus. Insgesamt aber ist »Gestrandet« ein angenehm nuancierter, durchaus optimistischer Film und stellt daher einen willkommenen Beitrag zur derzeitigen medialen Auseinandersetzung dar.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns