Kritik zu Geister – Exodus

© Plaion Pictures

Bibbern vor dem Fahrstuhl-Troll: 25 Jahre nach der zweiten Staffel seiner gefeierten Miniserie lässt Lars von Trier alte und neue Dämonen auferstehen

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Als Lars von Trier die Serie »Geister« inszenierte, war er mit Arthousefilmen wie »The Element of Crime«, »Epidemic« und »Europa« nur einer kleinen Zahl von Cineasten bekannt. Für den Aufschwung seiner Karriere sorgte ausgerechnet das verschlafene Medium Fernsehen. Serien-TV? Darunter verstand man damals »Dallas« oder »Denver Clan«. Nur wenige – darunter »Twin Peaks« oder »The Singing Detective« – nutzten das Format als künstlerisch ambitionierte Ausdrucksform.

In diesem ästhetischen Vakuum nahm sich Lars von Trier Anfang der 1990er alle Freiheiten. Seine im dänischen Original nach dem Kopenhagener Rigshospitalet, kurz Rigs – »Reich« – benannte Serie ist eine unnachahmliche Mischung aus Spukgeschichten und grotesker Arbeitsplatz-Satire. Ein ­kohärenter Plot ist nur in Ansätzen vorhanden. Wie im Traum fügen sich schummerige Sepiabilder zu einer assoziativen Szenenfolge, die sich eher gefühlsmäßig erschließt. 

25 Jahre nach der zweiten Staffel von 1996 mutet »Geister – Exodus« ein wenig wie ein ausgedünntes Klassentreffen an. Einige der Darsteller aus der ersten Staffel sind bereits verstorben. Andere, vor allem der am Progerie-Syndrom leidende Jesper Sørensen, sind vom Alter gezeichnet. Wie in den früheren Staffeln kommentiert er, diesmal unterstützt von einem sprechenden Arbeitsroboter, beim Geschirrspülen das Geschehen wie der Chor im antiken Drama. Geblieben sind auch die verdrehten Gaga-Epiloge, für die der Regisseur, inzwischen an Parkinson erkrankt, nicht mehr vor die Kamera tritt. Zu sehen sind nur noch seine Schuhspitzen, die unter einem Vorhang hervorlugen. 

Mit den neuen Episoden bleibt von Trier sich dennoch treu: Beim Anschauen einer DVD der alten Folgen – »So ein Quatsch, das hat ja gar kein Ende!« – wird die Schlafwandlerin Karen (Bodil Jørgensen) von seltsamen Visionen geplagt. Im Reichskrankenhaus ruft jener »kleine Bruder« um Hilfe, den Udo Kier in Staffel 2 als Monsterbaby verkörperte. Ein Monster ist er noch immer. Als gigantischer Schädel im Stil von Gullivers Reisen droht der »Torwächter« des Krankenhauses nun in einem See aus seinen eigenen Tränen zu ertrinken. 

Um diese tranceartig-melancholischen Bilder herum inszeniert von Trier den Alltag im Hospital als absurdes Theater. Nachfolger des cholerischen Schweden Helmer ist nun dessen Sohn, Helmer jr., von Mikael Persbrandt als arroganter Kotzbrocken verkörpert. Die überzeichnete Feindschaft zwischen den skandinavischen Nachbarländern fungiert diesmal als Aufhänger, um die politischen Korrektheit rund um gegenderte Sprache und #Metoo aufzuspießen, die vor allem in Schweden absonderliche Blüten treibt. So muss Helmer jr. sich gemäß einem Gesetz von 2018 – »Sex muss freiwillig sein, ist er es nicht, dann ist er illegal« – vor der erotischen Annäherung an seine Kollegin über deren Einverständnis juristisch absichern. Also schickt er ihr, während es knistert, rasch eine Einwilligungsklausel aufs Handy: »Ich, Anna Gramm, erkläre hiermit in aller Form mein Einverständnis, dass Helmer jr. mir einen Klaps auf den Po gibt«. 

Die Folgen dieser gut gemeinten Verbesserung des Geschlechterverhältnisses dekliniert die Serie mit rabenschwarzen Running Gags durch. Neu hinzugefügte Charaktere tragen derweil einen vergnüglichen Überbietungswettbewerb für die skurrilsten Macken aus. Der Klinikchef will Geld sparen, indem er Getränke für Patienten panscht. Einer der Ärzte ist auf der Flucht vor dem »Fahrstuhl-Troll«, einer mopsfidelen Rollstuhlfahrerin, die eigentlich nur plaudern will. Und in einem Gastauftritt verwandelt Willem Dafoe sich in eine Eule. Im verrücktesten Moment – einer Hommage an von Triers Lieblingsregisseur Andrej Tarkowski – schweben alle Figuren schwerelos durcheinander. Gewiss, die semidokumentarische Optik und die nach 25 Jahren nicht mehr taufrisch wirkenden Reißschwenks ermüden schon etwas. Trotzdem gelingt dem Dänen mit »Geister – Exodus« einmal mehr entfesseltes, provokatives Erzählen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt