Kritik zu Fünf Tage ohne Nora
Wenn sich Beerdigungsrituale – christliche wie jüdische – in die Quere kommen. Ein spielerischer Debütfilm aus Mexiko, der Agnostiker und Gläubige gleichermaßen auf ihre Kosten kommen lässt
Wie von Geisterhand wird ein Tisch gedeckt, eine festliche Tafel für zehn Personen, mit den wertvollen Kristallgläsern, dem Sonntagsgeschirr. Der Braten wird aus dem Ofen geholt, die Kaffeemaschine angeworfen und die alten Fotos und die Tagebücher aus dem Nachttisch in den Sekretär eingeschlossen. Dann ist Donnerstag. Es dauert nicht lange, bis das geheimnisvolle Treiben aufgeklärt ist. Nora ist tot. Gefunden wird sie von ihrem Exmann José (Fernando Luján), der seit der Scheidung vor zwanzig Jahren direkt gegenüber wohnt. Bei ihm wird auch das bestellte Tiefkühlfleisch angeliefert. Er kommt auch ziemlich schnell darauf, dass der gedeckte Tisch, das in Plastikdosen verpackte und sorgsam beschilderte Essen, das die Haushälterin Fabiana fertig kochen soll, von einer Selbstmörderin vorbereitet wurde. Es war ihr fünfzehnter Versuch, und es hat endlich geklappt. Die Todessehnsucht in Nora war stärker als alles andere – mehr erfahren wir darüber nicht. Auch nicht in den kurzen Rückblenden auf das junge Ehepaar, das sich einmal sehr geliebt haben muss.
Als Erstes ist ein Rabbi zur Stelle, der kurzerhand die Trauerfeierlichkeiten übernimmt und über die jüdischen Gebräuche aufklärt. Entweder innerhalb von vierundzwanzig Stunden beerdigen oder aber noch vier Tage warten, weil weder am Pessach-Fest noch am Sabbat Beerdigungen erlaubt sind. Was er aber nicht sagt: Dass die jüdische Gemeinde auf ihrem Friedhof keine Selbstmörder duldet und diese an einem besonderen Ort neben den Kriminellen begräbt. Das aber liegt daran, dass er es noch nicht weiß. Alle anderen Beteiligten verstehen Noras Selbstmord als eine lang ersehnte Wunscherfüllung.
Das Spielfilmdebüt der Mexikanerin Mariana Chenillo tastet sich an das schwierige Thema Tod wie mit Samthandschuhen heran. Hier wird ja nicht nur ein Begräbnis vorbereitet, sondern es werden gleich die großen Religionen, Christen- und Judentum, aufeinander losgelassen. Dem Atheisten José ist alles egal. Er bestellt eine christliche Beerdigung mit Blumenkreuz und Kerzenschimmer, und Hausmädchen Fabiana schminkt Nora nach Landessitte – wir befinden uns in Mexiko – und bindet ihr ein kleines Kreuz um den Hals – während der Abgesandte vom Rabbinat das Kaddisch betet. All das geschieht mit leiser Komik, ohne viel Worte. Die werden hauptsächlich zwischen dem erzürnten José und dem Rabbinat gewechselt. Dass zum Schluss eine würdige Beerdigung zustande kommt, ist allein sein Verdienst. Er ist zwangsweise wieder in die Rolle des Ehemanns geschlüpft, hat die Zeit – eigentlich wider Willen – dann doch zur inneren Einkehr, zur Versöhnung mit Nora, mit sich selbst, den unseligen Trauerritualen und der ganzen Familie genützt.
Allzu feierlich geht es in dieser Trauerkomödie aus vielerlei Gründen nicht zu. Eine deutliche Sprache sprechen die Kinderspiele der zauberhaften Enkeltöchter, mit denen sich José blendend versteht. Was wäre, wenn wir alle so respektlos mit auf Eis gelegten Großmüttern, Särgen, Vampiren und überflüssigen Blumengebinden umgingen? Dass am Schluss – so wie es die Verstorbene geplant hat – das Festtagsessen auf dem Tisch steht, rundet die Versöhnung ab. Es ist schließlich Pessach. Alles passt.
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