Kritik zu Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht
Und Schuld auch nicht, darauf insistiert dieser Dokumentarfilm, der die Prozesse gegen NS-Täter in den letzten Jahren verfolgt
Es gibt manche, die die durchaus öffentlichkeitswirksamen Prozesse im letzten Jahrzehnt gegen SS-Angehörige, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern tätig waren, mit Skepsis betrachten. Greise werden mitunter im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben. So lange her, heißt es, und sie waren ja teilweise noch minderjährig. Nun, dieser Dokumentarfilm gibt darauf sowohl eine juristische als auch eine menschliche Antwort. Zum einen wissen wir alle, dass Mord und Massenmord nicht verjähren, seit 1979 auch gesetzlich nicht mehr. Und zum anderen verlangt es auch die bloße Existenz der überlebenden Holocaustopfer, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt.
Im Mittelpunkt und auch als Ende von »Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht« steht der Prozess gegen Bruno Dey vor dem Landgericht Hamburg. Dey war SS-Wachmann im Konzentrations- und Vernichtungslager Stutthof bei Danzig, in dem 65 000 Menschen starben. Der Film führt die beteiligten Menschen (der Anklage) vor, den Leiter der Zentralstelle zur Verfolgung von Naziverbrechen, den zuständigen Staatsanwalt, die Anwälte der Kanzlei Rückel & Collegen, die Nebenkläger und -klägerinnen vertreten, darunter auch Roza Bloch, die als junges Mädchen in Stutthof war und heute in Israel lebt. Man sollte Konzentrationslagerinsassen nicht »KZ-Häftlinge« nennen, sagt einer der Anwälte, weil sie nie Häftlinge waren, sondern unrechtmäßig ihrer Freiheit beraubte Menschen.
Dey wurde im Juli 2020 wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er zum Zeitpunkt der Taten minderjährig war. Das Urteil mag sich seltsam salomonisch anhören, es weist aber auf ein Umdenken der deutschen Justiz in den letzten Jahren hin. Bruno Dey wurden in der Anklageschrift keine konkreten Handlungen vorgeworfen, er sei jedoch durch seine Zugehörigkeit zur Wachmannschaft »ein kleines Rädchen in der Tötungsmaschine des Konzentrationslagers« gewesen. Der Massenmord der Nazis konnte nur durch eine in die Hunderttausende gehende Zahl von Helfern funktionieren, allein in Stutthof waren in den fünf Jahren des Bestehens 3000 SS-Männer stationiert.
Vorausgegangen waren dem Urteil zwei ähnlich gelagerte weitere Prozess – der Dokumentarfilm liefert auch eine kleine Geschichte des Umgangs mit NS-Tätern des letzten Jahrzehnts. Schon John Demjanuk wurde 2011 in München verurteilt, weil er, so das Urteil, »Teil der Vernichtungsmaschinerie« gewesen sei. Das Urteil wurde aber durch Demjanuks Tod nicht rechtskräftig. Erst mit der Verurteilung von Oskar Gröning, des »Buchhalters von Auschwitz«, der der Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen schuldig gesprochen wurde, erlangte diese Urteilspraxis Rechtskraft.
Und damit kommt Fritz Bauer ins Spiel. Der Hessische Generalstaatsanwalt, Motor der Frankfurter Auschwitz-Prozesse (der einen kurzen, prägnanten Auftritt in Alexander Kluges »Abschied von gestern« hat), vertrat schon damals diese Rechtsauffassung, die aber in den Prozessen nicht realisiert werden konnte. Die Richter verlangten den Einzeltatnachweis (was durch ein Urteil des BGH 1969 bestätigt wurde). Symptomatisch für die juristische Beschäftigung mit NS-Tätern der damaligen Jahre – auch die Justiz der jungen BRD war mit alten Nazis durchsetzt.
Sabine Lamby, die mit Cornelia Partmann und Isabel Gathof für die Regie zeichnet, hat 2014 »Im Labyrinth des Schweigens« produziert, einen Film über die Vorgeschichte des ersten Auschwitz-Prozesses, mit dem von Gert Voss dargestellten Fritz Bauer in einer Nebenrolle. Der Film der drei Regisseurinnen zeigt sein Vermächtnis, zu dem sich die Justiz leider zu spät bekannte. »Fritz Bauers Erbe« gelingt es, nicht nur diese juristischen Sachverhalte für Laien fassbar in einen dokumentarischen Thriller zu kleiden, er lässt auch, durchaus berührend, die Opfer des NS-Unrechts zu Wort kommen. Wir sind gar nicht so sehr auf ein Urteil aus, sagt einmal eine Überlebende, wir wollen, dass die Menschen wahrnehmen, was uns angetan wurde. Und auch dazu trägt dieser Film bei.
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