Kritik zu Fall 39

© Paramount Pictures

Dass sich hinter so manchem bemitleidenswerten Opfer ein teuflischer Täter verbirgt, gehört zu den Standardlektionen, die ein Horrorfilm erteilt. Im neuen Film des deutschen Regisseurs Christian Alvart zimmert sich Renée Zellweger eine Therapie daraus

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Mit etwas über 143.000 Besuchern geriet Christian Alvarts Psychothriller »Antikörper« (2005) in den deutschen Kinos zu einem veritablen Flop. In Hollywood hingegen öffneten sich mit dem Film, der amerikanische Genreformate effektvoll imitierte, für den deutschen Nachwuchsregisseur die Studiotüren. In der Alptraumfabrik sind versierte Genreregisseure gefragt. Drei Jahre zuvor war Robert Schwentke mit seinem Debüt »Tattoo« (2002) an den heimischen Kinokassen ebenfalls gescheitert und wurde in den USA bald darauf für Flightplan mit Jodie Foster unter Vertrag genommen. Gleich zwei Projekte hat Christian Alvart im letzten Jahr auf die Beine gestellt: den in Berlin gedrehten Science-Fiction-Thriller »Pandorum« als deutsch-amerikanische Koproduktion mit Dennis Quaid (der an den Kinokassen hier wie dort unterging) und den komplett in den USA realisierten Horrorfilm »Fall 39«.

In »Fall 39« spielt Renée Zellweger die Sozialarbeiterin Emily Jenkins, auf deren Schreibtisch sich tagtäglich die Fälle von familiärer Vernachlässigung und Kindesmisshandlungen stapeln. Gegen die Avancen des feschen Psychologen Douglas (Bradley Cooper) verteidigt Emily tapfer ihr Singledasein. Hinter Beziehungsunwilligkeit und Helferinnensyndrom lauern eigene traumatische Kindheitserlebnisse. Als Emily den Fall der zehnjährigen Lillith Sullivan (Jodelle Ferland) auf den Tisch bekommt, wittert sie bald, dass sich dahinter eine gewalttätige Familiengeschichte verbirgt. Nachts ruft das Mädchen sie an und als Emily gemeinsam mit einem befreundeten Polizisten die Wohnung stürmt, haben die Eltern gerade ihre schlafende Tochter in den Ofen geschoben, um sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Entgegen aller Regeln beruflicher Professionalität nimmt die Sozialarbeiterin das verstörte Mädchen bei sich zu Hause auf. Aber bald schon merkt die Ersatzmutter, dass die aufgeweckte Lillith keineswegs nur Opfer elterlicher Gewalt ist. Um der manipulativen Macht des Kindes zu entkommen, muss sich Emily den eigenen traumatischen Kindheitserfahrungen stellen.

Wie in vielen Horrorfilmen wird auch in Alvarts »Fall 39« das Kino zum Therapieraum. Allerdings fällt das Seelenstudium hier dann doch etwas zu übersichtlich aus. Dadurch, dass Emily gegen alle Mutterinstinkte ankämpft und das verteufelte Kind zu hassen lernt, verarbeitet sie in einer rasanten Katharsis den Hass gegen die eigene Mutter. Aber abgesehen von den simplen Psychologisierungen leidet »Fall 39« vor allem an seiner atmosphärischen Dysfunktionalität. Die Anflüge von sozialem Realismus, mit dem der Film durch das Auge der Familienhelferin auf die gesellschaftlichen Verhältnisse blickt, verbinden sich nicht mit der mystischen Kehrtwende, die zur Halbzeit vorgenommen wird. Statt das Publikum langsam in seine Alptraumwelten hineinzuziehen, legt Alvart einfach den Schalter um, und von diesem verordneten Stimmungswechsel kann sich der Film bis zum Schluss nicht wieder erholen.

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