Kritik zu Es sind die kleinen Dinge
In Mélanie Auffrets Komödie verbünden sich Michel Blanc als alter Griesgram, der zur Lebensbejahung bekehrt wird, und Julia Piaton als junge, aufopferungsvolle Bürgermeisterin, um eine Dorfschule zu retten
Vor einigen Jahren ergriff das südfranzösische Departement Var eine außergewöhnliche Maßnahme gegen die grassierende Landflucht. Um die Grundversorgung der Kommunen, insbesondere der kleinen Dörfer, sicherzustellen, warb es Metzger, Bäcker und Ärzte mit dem Versprechen an, der Staat würde sie bezahlen.
Ob sich die Initiative landesweit durchsetzen konnte, ist fraglich. Das 400-Seelen-Dorf Kerguen jedenfalls siecht dahin. Händeringend sucht die Bürgermeisterin Alice (Julia Piaton) nach einem Nachfolger für die Boulangerie. Das Café gegenüber ist schon seit langem geschlossen und der Landarzt seit vier Jahren tot. Die gesamte Infrastruktur ruht auf den Schultern seiner resoluten, heillos überlasteten Tochter Alice. In ihrer Sprechstunde muss sie sich um Entschuldungen, Gebrechen und Eheprobleme kümmern. Schlaglöcher bessert sie in der großen Pause aus, denn sie leitet auch noch die Zwergschule des kleinen Fleckens.
Besondere Mühe bereitet ihr der Dorfcholeriker Emile (Michel Blanc), der sich mit jedermann zerstritten hat. Eines Tages erfährt sie, dass er Analphabet ist. Bis zu dessen Tod konnte er sich darauf verlassen, dass sein Bruder alles für ihn erledigte. Nun stapeln sich Rechnungen und amtliche Schreiben auf seinem Küchentisch. Kurzerhand entschließt sich der Rentner, wieder die Schulbank zu drücken, in die er vor sechzig Jahren seinen Vornamen einritzte. Das widerspricht allen Regularien, aber Alice gibt nach. Der Grantler, der um kein Schimpfwort verlegen ist, belebt den Unterricht ungemein. Die Klasse ist ohnehin ziemlich weltoffen. Bei der Suche nach einem Namen fürs neue Maskottchen, einen Hasen, setzt sich der Saint-Germain-Stürmer Mbappé nur knapp gegen Greta Thunberg durch. Die Schüler richten gar eine Raucherecke für ihren renitenten Kameraden ein.
Emiles Anwesenheit ruft einen Inspektor der Schulbehörde auf den Plan, der feststellt, dass die Klasse nicht die obligatorische Anzahl von Schülern aufweist. Alice muss rasch handeln, um den Teufelskreis der Abwanderung zu durchbrechen: Ohne Schule ziehen die Eltern fort. Sie rauft sich mit dem garstigen Rentner zusammen, um das Gemeinwesen nach allen Regeln der Wohlfühlkomödie zu retten. Die Einwohner stehen ihnen tatkräftig zur Seite. Alle Generationen ziehen an einem Strang. Werden sie die »kleinen Siege« erringen, von denen der Originaltitel kündet?
Mélanie Auffret inszeniert ihre Anstrengungen als schwungvolle Hommage an anarchischen Bürgersinn und Geselligkeit. Sie feiert ihr herziges Miteinander, aber die handelsübliche Sentimentalität hält sich im Rahmen. Auffrets Blick auf die Figuren ist hintergründig und diskret (auf Emiles Nachttisch entdeckt die Kamera lauter Bilderbücher); sie bangt mit ihnen, aber auch das Scheitern wäre eine Option, die sich mit Würde tragen ließe. Ein wehmütiger Zwiespalt öffnet sich: an den eigenen Wurzeln festzuhalten oder den Radius seines Lebens zu erweitern. Man lernt viel in dieser Zwergschule und dem Dorf, zu dem sie gehört.
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