Kritik zu Erica Jong – Breaking the Wall
Die Autorin des 70er-Jahre-Bestsellers »Angst vorm Fliegen« sorgte unter anderem mit ihrer unorthodoxen Definition von Feminismus für Aufregung. Nun porträtiert sie der Schweizer Kaspar Kasics betont unaufgeregt
Der Film beginnt mit Szenen aus dem winterlich entleerten Manhattan des Corona-Frühjahrs 2020. Dazu verträumtes Elektronik-Geklimper und ein Dialog aus dem Off zwischen einer Frauenstimme und einem Mann, den sie mit »Kesper« anspricht. »Es ist wirklich verrückt«, sagt sie. »Wie sollen wir den Film jetzt beenden?« »Erica, ich weiß noch nicht mal, wie ich ihn beginnen soll«, antwortet der Mann.
Drei Jahre später ist der fertige Film des Schweizer Filmemachers Kaspar Kasics bei uns im Kino. Seine Protagonistin Erica Jong erregte 1973 mit ihrem ersten autofiktionalen Roman »Fear of Flying« Aufsehen wegen des expliziten Umgangs mit weiblichem Sex. Das Buch war mit 18-Millionen-Auflage auch ein weltweiter Erfolg, dem bis heute weitere Bände Prosa und Lyrik folgen sollten.
Jong sieht sich als Feministin, die mit ihren Texten um größere weibliche Selbstbestimmung kämpft. Zur Zeit der Dreharbeiten arbeitet sie in ihrer mit Büchern, Gemälden und Souvenirs vollgestellten Wohnung in einem luxuriösen Apartmenthaus in Manhattan und einem ähnlich ausgestatteten Landhaus in Connecticut gerade am Abschluss eines neuen Buchs.
Jong ist eine extrovertierte Person, die auf der Bühne von ihren Enkelkindern schwärmt und in zeitgenössischen TV-Talks den sexistisch übergriffigen Fragen der Hosts Merv Griffin und Charlie Rose mit Witz und kämpferischem Selbstbewusstsein entgegentritt. »Sometimes I wish I were«, antwortet sie auf die Behauptung eines Gesprächspartners, ihre Schreibweise sei lesbisch. Doch sie ist Männern so sehr zugetan, dass sie viermal verheiratet war, seit dreißig Jahren dauerhaft mit dem Scheidungsanwalt Ken Burrows. Mit ihrer Schwester spricht Jong auch über die familiäre Vergangenheit mit einer auf den Erfolg eifersüchtigen Mutter und die jüdischen Wurzeln der Familie.
»Breaking the Wall« gilt für sie auch heute noch, wenn sie Nachwuchs fördert und am New Yorker Barnard College für Frauen ein »Girlowship« für angehende Autorinnen sponsort. Doch vielleicht wäre für die Zukunft statt Rebellion gegenüber den patriarchalen Werten eher eine Art Abtrünnigkeit (»defection«) angebracht, meint sie, was im Film aber leider nicht weiter ausgeführt wird. Überhaupt liegt trotz allen Enthusiasmus auch viel Melancholie in der Luft, die sich biografisch wie politisch gründet. Da ist einmal der Tod vieler geliebter Menschen und die Angst vor weiteren Verlusten. Da ist die Frage, ob in puncto Frauenrechte wirklich genug Substanzielles erreicht wurde. Und natürlich das Klima: Doch wenn Erica referiert, dass mit der weiblichen Kreativität die Hälfte des globalen Veränderungspotenzials brach läge, klingt das im Jahr 2020 nicht mehr wirklich überzeugend. Und ihre folgende Aussage, dass in dieser Hinsicht vornehmlich »Großmütter (..) das Sagen haben« sollten, wirkt in Hinsicht auf Jongs fetten eigenen CO2-Fußabdruck geradezu zynisch. So macht Kasics' Porträt auch die Lebenslügen vieler sich fortschrittlich wähnender Wohlhabender der älteren Generation sichtbar.
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