Kritik zu Er Sie Ich
Die Unzuverlässigkeit der Erinnerung: Carlotta Kittel befragt in ihrem Dokumentarfilm die eigenen Eltern in getrennten Interviewsituationen über ihre Beziehungs-und Trennungsgeschichte
»Meine Eltern waren nie ein Paar.« Das ist die Aussage, mit der der Film beginnt und der beide Elternteile noch vorbehaltslos zustimmen können. Regisseurin und Editorin Carlotta Kittel wächst bei ihrer Mutter auf, nicht ohne Kontakt zum Vater, aber doch mit eindeutigem Bezug zur Mutter. Sie vermittelt nicht zwischen beiden, erzählt dem einen nichts über die andere und wird so ganz selbstverständlich erwachsen. Dass ihre Eltern bereits vor ihrer Geburt getrennte Wege gingen, macht es für sie umso einfacher. Keine zermürbenden Streits zu Hause, stattdessen zwei Frauen gegen den Rest der Welt. Dass zu diesem Rest auch neue Liebhaber der Mutter gehören, das wird Carlotta Kittel so richtig erst bei ihrem ungewöhnlichen Dokumentarfilmprojekt klar. Sie hat ihre Eltern getrennt voneinander interviewt und beide dann Jahre später mit den Aussagen des jeweils anderen konfrontiert. Mehr nicht. Der Film besteht, wenn man so will, aus Erzählungen in roter und Reaktionen in weißer Kulisse. Tatsächlich aber passiert hier ganz viel.
Der Film entstand im Rahmen des Meisterschülerstudiums an der Filmuniversität Babelsberg. Man ahnt, dass die Mittel rar waren und Ideen an die Stelle großer Ausstattungen und Setvariationen treten mussten. Carlotta Kittel reduziert in ihrem Film alles auf das Notwendigste. Zwei Sessions mit Interviews und ein Laptop, mehr ist nicht nötig. Selbst auf Zwischenschnitte verzichtet sie und schneidet hart und immer spürbar in die Interviewsequenzen. Hier wird nichts verschleiert oder beschönigt. What you see is what you get.
Die Motivation liegt auf der Hand. Wie bringt man seine Eltern, die miteinander nichts mehr zu tun haben wollen, in ein Gespräch miteinander, das sich außerdem noch um intime Details der gemeinsamen Vergangenheit drehen soll? Wie findet man Zugang zu der eigenen Geschichte, die sich ja immer vermittelt darstellt? In der Konfrontation liegt dann zwar keine Wahrheit, aber diese offenbart gnadenlos, dass die Erinnerung fast immer ein böser Feind ist. Die Widersprüche müssen dann alle drei aushalten.
Die beginnen schon bei der Nacht der Zeugung. Vollständig unterschiedlich erinnern Mutter und Vater die Umstände, emotional reagieren beide. Aufbrausend die Mutter, traurig zurückhaltend der Vater. Aber es findet eine Auseinandersetzung statt, die auch die Filmemacherin selbst nicht außen vor lässt. Als es um die Möglichkeit einer Abtreibung geht, betrifft das auch das Innerste ihrer Existenz. Spannend sind die Bewegungen, die der jeweilige Monolog durchläuft. Mal zögerlich, dann wieder erstaunlich offen, mal anklagend, dann wieder voller Selbstvorwürfe, mal liebevoll, mal hart und unnachgiebig – man lernt eine zerbrochene Kleinfamilie in ihrer eigenen Reflexion und Konfrontation ganz intim kennen. Eine Intimität, die wahrscheinlich nur möglich ist, weil es die Tochter ist, der die Erinnerungen erzählt werden. Sowohl Mutter wie Vater verzweifeln an unterschiedlichen Stellen an dem Projekt. »Wenn du es nicht wärst, ich würde an dieser Stelle abbrechen«, sagt der Vater, und die Mutter fragt mit unterdrückten Tränen, was das alles überhaupt bringen soll. Das Ergebnis hingegen spricht für sich.
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