Kritik zu EO

© Rapid Eye Movies

In Cannes erhielt der polnische Altmeister Jerzy Skolimowski (84) für seinen ersten Film nach sieben Jahren den Preis der Jury

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Rotes Stroboskoplicht in der Dunkelheit. Für Sekundenbruchteile ist schemenhaft ein Fellkörper zu erkennen, auf dem Boden liegend, die Hufe in die Höhe. Dann das Gesicht einer jungen Frau, die sich darüber beugt, »Eo!« ruft. Ein Unfall? Versucht sie das Tier zu reanimieren? Da rappelt der Esel sich hoch, da geht das Licht an, er kommt auf allen vieren zu stehen in der Zirkusmanege, Applaus ertönt, die Frau, Kasandra, verbeugt sich. Das Rotlichtgewitter setzt erneut ein, die Kamera kreist um den Esel, schwindelerregend. 

Gleich in diesen ersten Momenten von »EO« macht der polnische Altmeister Jerzy Skolimowski, 84, deutlich, dass von ihm in den nächsten 86 Minuten viel zu erwarten ist, nur kein konventionelles Kino. Sein erster Spielfilm in sieben Jahren stellt nun erstmals keinen Menschen in den Mittelpunkt, sondern einen Esel, durch dessen Perspektive er auf die Welt blickt. Damit gelingt es Skolimowski, sich noch mehr als in bisherigen Filmen von psychologisierenden Narrativen und Inszenierungsstrategien weitgehend zu lösen, auch die Dialoge sind auf ein Minimum reduziert. 

Eine Geschichte erzählt er dann doch, freilich als Martyrium. »EO« begleitet den Titelhelden auf seinem Leidensweg, weg vom polnischen Wanderzirkus, wo Kasandra die Einzige zu sein scheint, die sich um sein Wohl schert, Eo aber bald abtransportiert wird, als Tierschützer gegen nicht artgerechte Haltung protestieren. Die Odyssee führt den Esel bis nach Italien, auf der langen Reise trifft er auf Menschen, die ihm nichts Gutes wollen, er wird verkauft, muss Lasten ziehen oder als Maskottchen eines Fußballvereins dienen. Eo lässt es stoisch über sich ergehen, bis zum bitteren Ende.

Die Fabel ist so unverkennbar auch eine Hommage an »Au Hasard Balthasar«, Robert Bressons Meisterwerk über den Leidensweg eines Esels. Skolimowksi sah den Film im Erscheinungsjahr 1966, die Schlussszene sei das erste und einzige Mal gewesen, dass er im Kino geweint habe. Diese für ihn ungewöhnliche Emotionalität überträgt Skolimowski auf »EO«. 

Unberechenbar war Skolimowski schon immer seit seinen Anfängen in den 60er Jahren im sozialistischen Polen mit Filmen wie »Besondere Kennzeichen: keine« 1965 und der Liebeskomödie »Der Start«, für die er 1967 den Goldenen Bären in Berlin gewann. Er wechselte Produktionsländer und Genres, kehrte dem Kino lange ganz den Rücken. Im Alter scheint er noch weniger etwas beweisen zu müssen, 2010 etwa schickte er in »Essential Killing« Vincent Gallo als afghanischen Kriegsflüchtling durch endlos verschneite Wälder. Bei »EO« arbeitet er nun erneut mit seiner Ehefrau Ewa Piaskowska, die als Co-Autorin und Produzentin fungiert. Das Ergebnis ist visuell faszinierend und in seiner Empathie mit dem Tier gänzlich ungebrochen, ohne kitschig zu werden. Wie ein Fremdkörper wirken lediglich die Szenen mit Filmstar Isabelle Huppert, die in einer Nebenrolle als Gräfin in Italien auftritt. Doch selbst ihr gelingt es nicht, dem graupelzigen Hauptdarsteller die Schau zu stehlen.

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