Kritik zu In einem Land, das es nicht mehr gibt

© Tobis Film

Eine junge Frau zwischen Kabelwerk, Modeinstitut und Subkultur im Jahr des ­Mauerfalls. Aelrun Goette erzählt nach »wahren Begebenheiten« des eigenen Lebens

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Die »Sibylle« war in der DDR eine Legende. Die vom staatlichen Modeinstitut in Berlin herausgegebene »Zeitschrift für Mode und Kultur« war für viele Frauen im Land stilbildend und wurde mit ihren Fotostrecken auch international wahrgenommen. Zuletzt setzte die künstlerische Inszenierung der Models in alltäglichen Kontexten von Architektur und Industrie Maßstäbe. 2001 wurde die Zeitschrift in dem Dokumentarfilm »Träume nicht –Sibylle« gewürdigt. 

Jetzt kommt ein Spielfilm, der in der Ostberliner Modeszene angelegt ist und eine junge Frau vom Berliner Stadtrand in ihr Zentrum schickt. Suzie (wie sie nach Suzie Quatro genannt wird) träumte eigentlich von einem Studium der Literatur, wurde aber wegen eines Exemplars des Romans »1984« in ihrer Tasche kurz vor dem Abitur in ein Kabelwerk strafversetzt, wo die gestandenen Brigadekolleginnen (herrlich energetisch: Jördis Triebel) der elegischen Möchtegernliteratin das Leben schwermachen. Zu Hause in der idyllisch spießigen Stadtrandsiedlung setzen ihr der verwitwete Vater und eine kleine Schwester zu. 

Von dieser Schwester und einem ungefragt in der »Sibylle« veröffentlichten Foto nimmt der Plot einen umständlichen Weg bis zu Suzies erstem Auftritt in den prächtigen Hallen des VEB Exquisit, wo sie in roten Pumps ein paar Schritte probelaufen darf. Wenig später kommt dann schon ein Team der Zeitschrift zur Fotosession mit ihr und den verblüfften Kolleginnen ins Werk. Und Suzie wird eine Adresse zugesteckt, wo sie neben der offiziellen Modeszene auch den schrillen Underground um den schwulen Institutsmitarbeiter Rudi (theatralisch: Sabin Tambrea) kennenlernt. Während staatliche Repression hier später gewaltsam zuschlägt, ist das Modeinstitut mit einigen Freiheiten institutionell ins System eingebunden. 

Aelrun Goette wurde selbst gegen Ende der DDR als Model entdeckt, bevor sie in Babelsberg Film studierte und 1998 mit starken dokumentarischen Frauenporträts debütierte. Später drehte sie Spiel- und Fernsehfilme. Für ihren mit Tanja Ziegler und der TOBIS produzierten Film erhielt sie ein Drehbuchstipendium. Doch die »nach wahren Begebenheiten« erzählte Geschichte aus dem Sommer 1989 bringt auch nach dem verkorksten Einstieg viel zu viel Kolportage (samt Liebesdrama und Zickenkrieg) und zu wenig Feinzeichnung gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen. 

Dabei tarieren sich die Gewichtungen zwischen den Welten von Kabelwerk, Mode und Subkultur im Prozess von Suzies persönlicher Selbstfindung vorhersehbar nach und nach neu aus: »Nur wenn wir träumen, sind wir frei«, hatte ihr die verstorbene Mutter auf einem Zettel hinterlassen. Marlene Burow interpretiert diese Emanzipation darstellerisch überzeugend, wird vor der Kamera von Benedict Neuenfels durch Ausleuchtung und Inszenierung aber stark in konventionelle Weiblichkeitsposen gesetzt. Die Besetzung ist durchgehend stimmig. Besonders viel Aufwand haben Produktion und Production Designerin Silke Buhr mit der Suche nach Locations mit besonderer Ausstrahlung und einer detailreichen Ausstattung der unterschiedlichen Drehorte betrieben.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich war ehrlich gesagt etwas erschrocken über den unreflektierten "Male Gaze", wo der Film doch von so vielen Frauen gemacht wurde (Autorin & Regisseurin, Produzentin, Redakteurinnen...). Die Sexszene im Gras mit Großaufnahme auf die Brüste fand ich regelrecht unangenehm, weil ich überhaupt nicht das Gefühl hatte, dass die Szene von den beiden liebenden erzählt, sondern nur dazu diente, den jugendlichen Frauenkörper nackt zu präsentieren. Der Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse bleibt holzschnittartig stereotyp und merkwürdig losgelöst vom zeitgeschichtlichen Kontext 1989. Und die kleine Schwester als ausstaffiertes Maskottchen ist zwar ein herzallerliebster Frechdachs, bringt aber bis auf ein paar Gags nicht viel für die Geschichte und sorgte bei mir für Genreverwirrung (das hatte was von Kinderfilm). So richtig weiß der Film auch nicht, was er sein will (Coming-of-Age? Sittengemälde? RomCom? Drama?). Schade! Eine verschenkte Chance.

Stimme voll und ganz zu. Leider enttäuschend.

Nach ein paar Minuten konnte ich nicht mehr: Ein Polizist, der sich 1989 über das wenig pflegsame Behandeln einer FDJ-Bluse derartig äußert - es sei denn, mit einem breiten Grinsen im Gesicht - ist genauso wenig glaubhaft wie ein Meister in einer "Blechbude", der so gestelzt über das "Bewähren in der sozialistischen Produktion" faselt. Das zeugt entweder von totaler Blödheit der Macher oder aber davon, der nicht mehr existenten DDR noch eins ins Gesicht zu geben.

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