Kritik zu Eine Karte der Klänge von Tokio
Tokio, sein Fischmarkt, seine Mädchen und seine Auftragskiller: Isabel Coixet begräbt in ihrer traurigen Liebesgeschichte eine vielversprechende Handlung um Sergi Lopez als Weinhändler im Exil mit einem Zuviel an Genreeinfällen
Gepflegt geile Geschäftsmänner pulen Sushi von nackten Frauenkörpern und kichern verstohlen deren endgültiger Entblößung entgegen. Einem der Männer missfällt das, aber sein junger Begleiter erklärt ihm, nur so sei das Geschäft erfolgreich abzuwickeln. In die gepflegte Dekadenz platzt die Nachricht des Todes seiner Tochter, und der ins Mark getroffene Mann schlägt um sich, bis kein Sushihäppchen mehr neben dem anderen liegt. Ein großartiger Auftakt, der sexistische Rituale auf individuelles Gefühl prallen lässt und die japanische Welt für einen Moment aus den Angeln hebt.
Diese Wucht verliert sich jedoch rasch. Bereits der Titel klingt ein wenig verstolpert, und Isabel Coixets Film tut es ihm gleich. Die spanische Filmemacherin, die ihre Geschichten und Darsteller auf der ganzen Welt einsammelt und zu Filmen wie »Mein Leben ohne mich« und »Das geheime Leben der Worte« gebündelt hat, hat sich in und mit Tokio übernommen.
Coixet versteht eine Menge von der Schönheit des Scheiterns. In den intimen Momenten dieses Filmes macht sie das auch in diesem Film anschaulich. Sergi Lopez ist David. Er verkauft spanischen Wein an japanische Kenner und trauert um seine labile junge Geliebte, die sich das Leben nahm. Die mysteriöse Ryu lebt ein Leben zwischen stoisch absolvierten Arbeitstagen auf dem Fischmarkt und einsamen Nächten in ihrer Wohnung, durch deren Fenster sie auf den Parcours einer Fahrschule blickt. Zwei verlorene, die sich in einem kitschigen »Love Hotel« ihre Körper und ihre Wortlosigkeit zur Verfügung stellen, wieder und wieder. Die Wärme, die ihnen gegen ihren Willen unterläuft, dringt nicht bis in ihre vereisten Seelen. Der große europäische Schauspieler ist wie immer frei von Pose und voll unergründlicher Tiefe, aus der er zu der größten Zärtlichkeit wie auch der größten Grausamkeit fähig ist. Rinko Kiguchi ist, wie sie es bereits in »Babel« war, ein Hauch von Mädchen voller Sehnsüchte und ohne Mittel, sie äußern oder gar leben zu können.
Dieser leisen Chronik eines Liebesirrtums vertraut Coixet jedoch nicht, sondern reichert sie mit Elementen des überstrapazierten Auftragskiller- Genres an. Ryu war eigentlich beauftragt, David zu töten – der Vater seiner Geliebten will sich an ihm rächen. Da Ryu dazu nicht mehr in der Lage ist, nagelt dieser Holzhammerplot die fragile Geschichte auf einen absehbaren Verlauf fest.
Darüber hinaus müssen auch noch die Stadt Tokio und das Bild, das wir uns aus Filmen von ihr gemacht haben, zu ihrem Recht kommen: Coixet zeigt neben dem bonbonbunten »Love Hotel« und der unvermeidlichen Schlüsselszene in einer Karaokebar angestrengt eingestreute Straßenrituale und die unvermeidlichen lichtertrunkenen Metropolenbilder aus der Vogelperspektive.
Ryu hat einen einzigen Freund, einen alten Mann, der die Geschichte des Filmes erzählt. Er sammelt Töne und hat Ryu ein eingeschaltetes Aufnahmegerät in die Tasche gesteckt. So rekonstruiert er Ryus Geschichte, die hätte schön sein können, doch leider ist der so einfallsreichen wie ruhigen Erzählerin Coixet hier eine Gier nach Plot und Schauwerten zum Verhängnis geworden.
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