Kritik zu Ein Kuss von Béatrice
Nach den Künstlerinnenporträts »Séraphine« und »Violette« präsentiert Martin Provost hier mit Catherine Frot als Hebamme und Catherine Deneuve als Lebenskünstlerin zwei Frauen, die sich wider Erwarten blendend verstehen
Der Originaltitel »Sage femme«, »weise Frau«, bezeichnet nicht nur den Beruf der Hebamme. In der Bezeichnung schwingt auch die altertümliche Hexenkonnotation mit. Nun ist Claire (Catherine Frot) so rational, wie frau nur sein kann, und erinnert wenig an jene »sages-femmes«, denen mittelalterliche Inquisitoren einen Draht zum Übersinnlichen und teuflisch Verführerischen unterstellten. Und doch hat diese geradlinige und unverblümte Person eine gewisse kreatürliche Aura, die sowohl bei ihrem Beruf als Geburtshelferin zum Ausdruck kommt wie auch beim Möhrenziehen im eigenen Schrebergarten.
Die elegante Béatrice (Catherine Deneuve) dagegen befindet sich am anderen Ende der Skala urmütterlicher Tüchtigkeit. Sie ist die Exgeliebte von Claires Vater; vor 30 Jahren hatte sie ihn verlassen. Nun, da sie an einem unheilbaren Gehirntumor leidet, will sie alles wieder gut machen und nimmt mit Claire Kontakt auf. Die hätte allen Grund, diese charmante Abenteurerin, deren Verschwinden einst Claires Vater zum Selbstmord trieb, zu hassen. Auch Claire steht an einem Wendepunkt; ihr Sohn zieht aus, und die Entbindungsstation, in der sie arbeitet, wird geschlossen. Es kommt wie geahnt: Die Lebenskünstlerin nistet sich bei der Spaßbremse ein und vererbt ihr, in der beiderseitigen Trauer um einen Mann, das dringend nötige Quantum Leichtsinn und Lebenslust.
Als Überbau dieser Tragikomödie dient La Fontaines Fabel »Die Grille und die Ameise«: So isst die eine, reuelose Genießerin, ein Entrecôte mit Pommes und einer Extraportion Mayo, die andere, strenger Gesundheitsapostel, Fisch und Brokkoli. Es ist Provost hoch anzurechnen, dass er den Clash der Mentalitäten mit viel Feingefühl statt mit Klamauk inszeniert. Daneben will er mit nicht weniger als sechs Geburtsszenen dem Hebammenberuf eine Hommage erweisen. So müssen Claire, die sich weigert, in einer modernen »Babyfabrik« zu arbeiten, und auch ihr Sohn als Exempel für den Wandel im französischen Gesundheitssystem herhalten. Ebenso erkennbar ist die wohlmeinende Absicht, Claires Wohnort Mantes-la-Jolie, einem Brennpunktvorort von Paris, ein freundlicheres Gesicht zu geben; und auch Claires neuer Verehrer, ein freundlicher Lkw-Fahrer (Olivier Gourmet), ist eher eine gut gemeinte Fabelgestalt. So ist diese Rahmenhandlung trotz betontem Realismus alles andere als schlüssig.
Vielleicht aber dient dieses unglamouröse Kleine-Leute-Milieu schlicht als Kontrast zum Auftritt von Diva Deneuve. Ebenso wie »sage femme« einen Mehrwert hat, zehrt auch Deneuve vom Echo ihrer Paraderollen als »femme libérée«, einer von einer Liebe zur nächsten flatternden Frau und Rebellin gegen bürgerliche Zwänge. Und das romantische Klischee einer unabhängigen Frau gewinnt hier, indem es in bitterer Konsequenz zu Ende gedacht wird, neue Wahrhaftigkeit. Tatsächlich ist diese Vagabundin, mit der man viel Spaß haben kann und die sich in Zockerrunden Geld beschafft, Deneuve auf den Leib geschrieben. Der Anblick dieses Catherine-Duos ist oft so anregend, dass die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Beziehung in den Hintergrund tritt.
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