Kritik zu Ein Hells Angel – Unter Brüdern

© Farbfilm Verleih

2014
Original-Titel: 
Ein Hells Angel – Unter Brüdern
Filmstart in Deutschland: 
15.01.2015
L: 
90 Min
FSK: 
12

Ein Höllenengel am Neckar. Am Beispiel des nachdenklichen Hells Angel Lutz Schelhorn und dessen Stuttgarter Charter zeichnet Marcel Wehn ein vielschichtiges Porträt des berühmt-berüchtigten Motorradclubs

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Die Hells Angels, bereits Ende der 40er Jahre in Kalifornien gegründet, sind fester Bestandteil der Popikonographie. Einerseits wurden die wüsten Typen von den bürgerlichen Medien als Kriminelle dargestellt, anderseits übten diese apokalyptischen Reiter auf das Kino, die Rockmusik, die Mode und den Gonzo-Journalismus in den 60er und 70er Jahren und darüber hinaus eine ungemeine Faszination aus. Die Angels galten damals als Rebellen gegen Spießertum und Obrigkeit. Roger Corman und Co feierten den stets mysteriös bleibenden Männerbund, der den Idealen des Gunfighter und Trapper des Wilden Westen nachhing, in kleinen, schmutzigen B-Pictures wie Wild Angels mit Peter Fonda. Hunter S. Thompson näherte sich dem Angels-Phänomen in einem legendären Buch an und bekam Trouble mit dem Club-Präsidenten Sonny Barger. Die Rolling Stones schließlich engagierten die Hells Angels als Ordner beim Konzert von Altamont, das mit Chaos und Tod endete.

Heute gibt es ein ganzes Subgenre aus TV-Dokus und Sachbüchern, die reißerisch die Angels als Global Player des organisierten Verbrechens darstellen. Lutz Schelhorn, Jahrgang 1959, Stuttgarter Urgestein und Protagonist von Marcel Wehns neuem Dokumentarfilm, kennt die Angels genau, ihre Historie, die vielen, meist falschen Bilder, die man sich von ihnen macht. Schelhorn hat diese Kenntnis, weil er seit Jahrzehnten als Angel lebt: Er ist Gründer und Präsident des Stuttgart Charters. Auf seine ruhige Art ist er als gealterter Rebell so etwas wie ein Philosoph der Angels: Individualist und zugleich solidarisches Mitglied.

Marcel Wehn zeichnet nun am Musterbeispiel des charismatischen Schelhorn ein Porträt des Stuttgarter Charters und darüber hinaus der deutschen Angels. Er zeigt das Clubleben, die Verfolgung durch die Polizei, die spektakulären Kriminalfälle, in die die Hells Angels in letzter Zeit verwickelt wurden. Mit naiv-provokanten Fragen sucht Wehn nach Erklärungen bei Schelhorn und anderen Angels, bei einem Polizeivertreter, einem Stern-Journalisten (Hunter S. Thompson auf deutsch). Diese Suche nach Moral und Transparenz bei den Angels bringt freilich kaum Erkenntnisse.

Erst hinter den Fragen, in den Zwischenräumen und Brüchen des mosaikhaften Porträts bringt der genaue Beobachter Wehn etwas zum Vorschein: ein richtiges, beinahe möchte man sagen, ein wahres Bild des Hells Angels oder zumindest des besonderen Angels Lutz Schelhorn. Es ist spannend, dem Mann beim Reden zuzusehen, seine Clubsolidarität und seine Zweifel zu spüren, seine Melancholie zu erkennen, wenn er über sein selbst gewähltes Leben als Outsider nachsinnt, ein Leben voller Aufruhr und enervierenden Konflikten mit der Gesellschaft. Und es ist geradezu schön, die Eleganz zu beobachten, wenn der alte Angel auf seiner Harley über die Straßen Württembergs gleitet. Jugendlich-amerikanisches und ein hartnäckig-schwäbisches Rebellentum (das bis Friedrich Schiller zurückreicht) scheinen sich bei Schelhorn zu vermischen. Es ist bittere Ironie, dass Schelhorn, der das uramerikanische Ideal der Freiheit hochhält, keine Einreiseerlaubnis in die USA erhält. Weil er auf der schwarzen Liste diverser Polizeiapparate steht.

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