Kritik zu Ein gutes Herz
Ein mürrischer alter Kauz, ein junger Obdachloser und eine Bar, in der nur Stammgäste bedient werden: Das ist das neue Kinomärchen des aufs Depressive spezialisierten Isländers Dagur Kári
In seinem Spielfilmdebüt »Nói albínói« hatte der isländische Regisseur Dagur Kári seinen haarlosen Helden verzweifelt gegen Schnee, Eis und die ereignislose Gutmütigkeit der dörflichen Einöde kämpfen lassen. In seinem ersten amerikanischen Film begibt sich Kári nun zwar mitten ins Herz der Zivilisation, aber das New York, das er zeigt, ist nicht weniger einsam als die isländische Provinz. Ein Krankenhaus, ein paar düstere Hinterhofgassen und eine heruntergekommene Kneipe – sehr viel mehr bekommt man in »Ein gutes Herz« nicht vom Big Apple zu sehen. Wie der finstere Wald in einem Märchen ist hier die Metropole nur ein metaphorischer und kein realer Ort.
Der Film erzählt von zwei Lebensmüden, die sich im Krankenhaus kennenlernen. Der Barbesitzer Jacques (Brian Cox) wurde zum fünften Mal von einem Herzinfarkt niedergestreckt. Der junge Obdachlose Lucas (Paul Dano) hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, weil er den Kampf ums Überleben auf der Straße aufgegeben hat. Der bärbeißige Wirt und der zartbesaitete Clochard freunden sich an, und Jacques beschließt, den Jungen zu seinem Nachfolger heranzuziehen. Er gibt ihm ein spärlich eingerichtetes Zimmer in seiner Wohnung über der Kneipe und weist ihn in die Geheimnisse des Wirtshauswesens ein.
Die »Oyster Tavern« ist ein finsteres Loch. Am Tresen lassen sich immer dieselben sechs, sieben Gestalten volllaufen. In der Bar macht Jacques die Gesetze, und mit Gastfreundschaft haben seine Regeln wenig zu tun. Nur Stammkunden bekommen hier einen Drink. Fremde von der Straße werden ebenso wenig bedient wie Frauen. Die wenigen Gäste müssen vom Barkeeper möglichst unfreundlich behandelt werden, weil – so die Logik des Kneipenbesitzers – unglückliche Menschen mehr trinken. Der grundgutmütige Lucas tut sich schwer mit dem menschenverachtenden Regelwerk, und als die arbeitslose Stewardess April (Isild Le Besco) vom Regen in die Bar gespült wird, rebelliert der verliebte Lehrling gegen die Gesetze seines Mentors.
Allzu übersichtlich hat Kári seine Figurenaufstellung positioniert. Hier der alte, verbitterte Wirt. Dort der naive, lebensfremde Jüngling. Klar, dass der hartherzige Jacques im Angesicht des nahenden Todes durch den netten jungen Mann auch ein bisschen netter werden und der nicht gerade helle Lucas noch einige Lektionen über die Härten des Lebens lernen wird. Im irritierenden Kontrast zum menschelnden Anliegen steht die äußerst düstere visuelle Gestaltung des Filmes, die die Welt um die beiden Protagonisten als kalten und abweisenden Ort gestaltet. Der (ohnehin sehr klischeehafte) Versuch Aprils, die düstere Männerhöhle der »Oyster Tavern« mit ein paar Tischdecken und Blumen aufzuhübschen, wird von dem wutentbrannten Kneipenbesitzer sofort wieder zunichtegemacht. Größtes Manko des Filmes ist jedoch, dass er den Figuren keinen biografischen Hintergrund gönnt. Warum Jacques zu einem solch grantigen Choleriker geworden und weshalb Lucas als Obdachloser auf der Straße gelandet ist, wird mit keinem Satz erwähnt. Sie sind, was sie sind, und das ist – in diesem Fall – leider einfach zu wenig.
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