Kritik zu Ein ganz gewöhnlicher Held
Mit reichlich Pathos erzählt Emilio Estévez von einer Gruppe Obdachloser, die in einer Bibliothek in einer eisigen Nacht Zuflucht sucht. Die Rollen von Gut und Böse sind da schnell verteilt
Eine öffentliche Bibliothek als Ort des zivilen Ungehorsams entspricht ganz dem Gedanken des amerikanischen Demokratieanspruchs und des Rechts auf ein würdiges, selbstbestimmtes Leben, das auch den friedlichen Widerstand rechtfertigt. Und sie spiegelt die Idee, dass Bildung und insbesondere Literatur eine Gesellschaft eint und zu einer besseren macht. Das allein hat schon reichlich zur Schau getragenes Pathos. Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Emilio Estevez wählt ihn trotzdem – und setzt noch einiges oben drauf.
Eine Kältewelle hat Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio überrollt. Seit Tagen nutzen Obdachlose die öffentliche Bibliothek, um sich morgens in den Toiletten zu waschen, an den Lesetischen der Kälte am Tage zu entkommen, im Internet zu surfen – alles unter dem gütigen Blick des Angestellten Stuart Goodson (Estevez). Eines Tages sind alle Notunterkünfte überfüllt und die Obdachlosen beschließen, auch die Nacht in der Bibliothek zu verbringen. Und ehe sichs Stuart versieht, sind er und seine ängstliche Kollegin Myra (Jena Malone) mittendrin in der friedlichen Belagerung. Außerdem tauchen ein unsympathischer Verhandlungsführer (Alec Baldwin) und ein unnachgiebiger Politiker (Christian Slater) auf, der ein mit Härte geführtes Bürgermeisteramt anstrebt. Natürlich lässt auch die Presse nicht lange auf sich warten, die sich vor dem Gebäude postiert – allen voran die junge ehrgeizige Rebecca (Gabrielle Union), die ihre große Chance wittert und mehr an ihren unerwartet vielen Followern interessiert ist als an den Hintergründen der Belagerung. Die will ihr Stuarts Nachbarin, die hübsche und unkonventionelle Angela (Taylor Schilling), nahebringen, die sogar ein Telefonat mit Stuart arrangiert. Da ist schon längst von einer Geiselnahme die Rede, denn natürlich hat auch Stuart eine Vergangenheit als Obdachloser und Kleinkrimineller.
Estevez legt in seinem ersten Film nach »Bobby« (2006) die Fährten der kleinsten Details fast aufdringlich offensichtlich aus, indem er allzu deutliche Bilder und Stereotype wählt: Statt sich in der Liveschalte zu erklären, zitiert Stuart aus John Steinbecks »Früchte des Zorns«, das sein Kollegin Myra zuvor die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt hat. Der Zuschauer weiß aus einem Gespräch zwischen Stuart und Angela längst, was eine Pizza mit frischen Tomaten bei Stuarts bevorzugtem Lieferservice kostet, als dies die Testfrage für den Boten vor der verbarrikadierten Bibliothekstür wird. Verhandlungsführer Ramstead entdeckt unter den Obdachlosen seinen verschwundenen Sohn, und der Politiker ist zu verbohrt, um sich als Wohltäter seinen potenziellen Wählern zu präsentieren. Der deutsche Titel macht das alles nicht besser – im Original lautet er immerhin schlicht »The Public«. Einzig die Anspielungen auf die Schriften des Gesellschaftsrebellen Henry David Thoreau aus dem 19. Jahrhundert, dem Identitätsstifter mehrerer amerikanischer Aussteigergenerationen, der zum zivilen Ungehorsam aufgerufen hatte, sind da noch die subtilsten.
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