Kritik zu E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer
Beatrice Minger nimmt sich in wagemutiger Mischung aus Spiel-, Dokumentar- und Essayfilm die Designerin und Architektin Eileen Gray vor
Im Jahr 1929 vollendete die Architektin und Designerin Eileen Gray ihr Haus E.1027 an der Côte d’Azur. Man ist sich einig: ein Meisterwerk moderner Architektur, das mit weiten Räumen, intimen Nischen, der Integration in die Felslandschaft sowie Grays eigener Innenausstattung den Aufbruch in eine Architektur des guten Lebens bedeutete. Der damals schon bekanntere Architekt Le Corbusier war hingerissen von dem Haus, fast 20 Jahre später bemalte er die Innenräume mit Fresken, verwandelte dessen Charakter und machte sich nicht die Mühe, Falschzuschreibungen, die in ihm den Architekten von E.1027 sahen, zu korrigieren.
Regisseurin Beatrice Minger hat mit Christoph Schaub nun einen Film gedreht, der sich dieser Episode und der Figur Eileen Gray behutsam und schöngeistig annimmt. Dokumentar- und Spielfilm, Archivmaterial und Theatersituationen fügen sich zusammen zu einer ungreifbaren Form, einem gefälligen und dabei irritierenden Gleiten zwischen Exposition, Stimmungen, Drama und Verfremdung. Der Filmraum, in dem Gray (gespielt von Natalie Radmall-Quirke), ihr Gefährte Jean Badovici und Le Corbusier wandeln, erhebt sich immer wieder aus seiner bloß erzählenden Funktion, bringt uns Figurenkonstellationen nahe und meidet die Umwege, die ein herkömmlicher Spielfilm nehmen müsste. Er fängt die Sonne der Riviera ein, dass man sie selbst zu spüren glaubt, und widmet sich der Moderne, in der er spielt, mit ausgefeilten Kompositionen. Es entfaltet sich das stille Drama einer Dreiecksbeziehung, gepaart mit architektonischer Geschichtsstunde im Voiceover.
»Lachen verboten« (»defense de rire«) ist einer von vielen kleinen Schriftzügen an den Wänden von E.1027 – diese Aufforderung scheint der Film arg ernst zu nehmen. Allzu sehr ist er gehemmt vom Respekt vor Grays Öffentlichkeitsscheu und eingenommen von ihrer Zurückgezogenheit. Dabei zeugen die verwirrend ironischen Schriftzüge, einige Entwürfe von Gray und auch ein Archivinterview mit der greisen Designerin am Ende des Films von einer stolzen und fast heiteren Lebenszugewandtheit, für die der Film sich, in Respekt erstarrt, nicht zu öffnen vermag.
Er widmet sich dem Vorfall um Le Corbusier mit Interesse und Muße, aber eine Notwendigkeit, einen Kern sucht er nicht. Sicher, dass Le Corbusier als gefeiertes männliches Genie eine Arroganz und Unverschämtheit an den Tag legen konnte, die die Szene eifrig aufnahm, während Eileen Gray in Vergessenheit geriet, sagt manches über die Zeit der beiden und ihre in die Gegenwart reichenden Folgen. Die Anbringung der Fresken wird als Vergewaltigung am Haus inszeniert. Warum dieses Ereignis aber von so grundlegender Bedeutung sein soll, weiß der Film selbst nicht recht. Und weil die Form doch Figurennähe fordert, nimmt er sich nicht die Freiheit, über sie und ihr Schaffen zu sprechen.
Vielleicht wäre dieser Film lieber ein Bildband geworden. Er entfaltet sich wie bei beiläufigem Blättern, nicht alles ist essenziell, doch hin und wieder ist man verzückt von Schönheit oder fasziniert von der eigenwilligen filmischen Form.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns