Kritik zu Die Unsichtbare
Auch in seinem zweiten Spielfilm nach dem erfolgreichen »Novemberkind« stellt Christian Schwochow einen Mutter-Tochter-Konflikt in den Mittelpunkt, der auf einen Nervenzusammenbruch hinauszulaufen droht
Wenn sich der Vorhang hebt und sich das gleißende Licht auf der Bühne von der Dunkelheit des Zuschauerraums scheidet, ist es soweit: Das Stück erlebt seine erste Aufführung und die jungen Schauspieler ihre erste Bewährungsprobe. Auf diesen Augenblick arbeitet der Film und die darin agierende Truppe hin. Und es wird zuletzt klappen, weil alle – wie zum Trotz – dran glauben. Der zweite Film von Christian Schwochow nach »Novemberkind« handelt dann allerdings weniger von den Herausforderungen des Theaterspielens als von den Überwindungen und Kämpfen, die der jungen Schauspielstudentin Fine (Stine Fischer Christensen) schon von Hause aus aufgebürdet werden. Er entwirft das Psychogramm einer jungen Frau, die eigentlich gar nicht zur Schauspielerin berufen scheint. Beim wichtigen Casting schläft sie auf der Bühne ein, kriegt nur die kleine Nebenrolle und den vernichtenden Verweis »Man sieht dich einfach nicht« zu hören. Warum sie dann doch die Hauptrolle kriegt, bleibt das Geheimnis des renommierten Regisseurs, der seine sadistischen Neigungen bald unter Beweis stellen wird. Die Schauspielelevin quält sich mit der Rolle einer extrovertierten Nymphomanin ab, die eigentlich über ihre Kräfte und über ihre Lebenserfahrung geht Fine ist nämlich nicht nur »unsichtbar«, sondern auch noch »unberührt«, was sie beim Feiern mit ihrer Truppe offen zugibt.
Viele Erzählfäden laufen zusammen. Da ist auch noch der Nachbar, ein Tunnelbauer, der bald nach China geht, dem sich Fine an den Hals wirft, um endlich zu ihrer Entjungferung zu kommen. Emotionaler Hauptschauplatz des Films ist und bleibt jedoch die Rumpffamilie ohne Vater, in deren Mittelpunkt aber keineswegs die angehende Schauspielerin, sondern ihre schwerbehinderte Schwester steht, die den Haushalt mit ihren spastischen Anfällen in eine Bühne verwandelt, dabei Mutter wie Schwester zu Regieassistenten degradiert. Von vornherein fällt die überkompensierte Zuwendung der Mutter, gekoppelt mit der abstrafenden Ablehnung ihrer »normalen« Tochter auf, die für beide die Rolle der Trösterin spielen muss. Wie in »Novemberkind« ist die Mutter-Tochter-Beziehung der eigentliche Kern des Films, die Ursache der »Störung«, die der begabten Tochter das Leben zur Hölle macht. Viele Elemente erinnern an den Ballettfilm Black Swan, der offenbar parallel entstand, nur irgendwie auf den Kopf gestellt.
Regisseur Christian Schwochow spricht von einer »Geschichte der Befreiung«. Die mit Stine Fischer Christensen ausgezeichnet besetzte Fine, die das Unreife, Unsichere mit jeder Körperregung auszudrücken, den schwachen dänischen Akzent auch noch als »Waffe« einzusetzen versteht, ist als Figur so überzeugend, dass sie den total überfrachteten Plot gar nicht bräuchte, um ihr Anliegen an den Zuschauer zu bringen. Stattdessen pendelt der Film ständig von Schauspielstudio und Probebühne zu diversen Alltagsszenen, doch eigentlich regiert immer der »Ausnahmezustand«. So wird der Film für alle Beteiligten, auch für den Zuschauer, zu einer Bewährungsprobe, die irgendwie durchgestanden werden muss. Schade.
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